Drei goldene Federn

Drei Goldene Federn
Eine Geschichte in 3 Teilen:
In ferner Vergangenheit und gleichzeitig in der Zukunft, so wie in der Gegenwart im Hier und Jetzt
So könnte es dereinst vor langer, langer Zeit in einer Zeit vor einer anderen Zeit im bairischen Wald nahe an der böhmischen Grenze begonnen haben. Unter dem Arber, wo die Arbermännlein und Arberweiblein im Wald nach dem Rechten schauten. Die Menschen im Arbertal waren schon seit jeher mit der Natur sehr stark verbunden.
Drei goldige Findelkinder für den Dorfschullehrer
In einem kleinen Dorf, das zur Gemeinde Zwiesel gehörte, lebten beim Dorfschullehrer Köhler Hannes drei Mädchen, die hochbegabt waren. Es waren Waisenkinder verschiedener Herkunft.
Eines Tages waren die kleinen Mädchen, eingewickelt in einem wärmenden dicken Tuch und zu einem einheitlich schreienden Bündel verschnürt, vor der Hütte des Dorfschullehrers gelegen, der dafür bekannt war, nie NEIN sagen zu können. Eine Amme hatte sich um die kleinen Menschlein gekümmert bis zu dem Zeitpunkt, wo die Kinder bereits festere Nahrung aufnehmen konnten. Die Amme war sehr lange unterwegs gewesen, um die Kinder an einen sicheren Ort zu bringen und ausfindig zu machen, wer sich nun weiterhin um diese elternlosen, armen Würmchen sorgen konnte.
Die Amme arbeitete für wohlhabende Mütter aus gutem Hause. So manches Kindlein war nicht aus der ehelichen Verbindung heraus entstanden, und diese Kinder wurden dann der Hebamme übergeben mit dem Auftrag, sie zu „entsorgen“, was hieß, die Kinder der wilden Natur auszusetzen und ihrem Schicksal zu überlassen. Wenn die ausgesetzten Säuglinge die erste Nacht überlebt hatten, durfte die Hebamme das Kind an eine Amme weitergeben. Diese Amme durfte bei freier Kost und Logis im Dorf wohnen und alle Kinder mit ihrer köstlichen warmen Muttermilch versorgen.
Ammen wurden gemeinhin ausgesandt, die Bankerts, wie diese Kinder genannt wurden, in gute Hände zu geben. So manches Mal wurden die ledigen Kinder auch in weniger gute Stuben abgegeben, wo Kinder dann misshandelt und als billigste Arbeitskräfte verbraucht wurden.
Jedoch, wer zum Dorfschullehrer Hansgirgl gebracht wurde, hatte es gut!
Als der Dorfschullehrer von seinen Unterrichtsstunden aus der herrschaftlichen Burg nach Hause kam, fand er ein plärrendes Bündel vor seiner Hütte. Nicht schon wieder!, dachte er. Als er jedoch die drei kleinen Mädchen aus ihrer Verpackung herausholte, sahen sie ihrem Retter direkt ins Herz … und er konnte sich nicht mehr von diesem süßen Anblick abwenden. Wie verzaubert war der Dorfschullehrer Girglhans (wie er im Dorf genannt wurde). Wer konnte denn da schon widerstehen … ER nicht!
Der Lehrer Girglhans hatte ein sehr großes Herz, vor allem für die Kinder. Das wussten viele Menschen im Umkreis. Er brauchte sich auch keine Sorgen zu machen wegen der Verköstigung seiner Findlinge, denn genauso heimlich, wie die Kinder bei ihm abgelegt worden waren, fand sich immer ein großer Korb mit köstlichen Waldfrüchten vor seiner Hütte ein.
Der Hansgirgl oder auch der Girglhans genannt, wohnte am Waldesrand in einer schönen Hütte, die er von seinen Eltern übernommen und immer wieder hergerichtet hatte. Der Hansgirgl hieß eigentlich Hannes Köhler. Seine Eltern hatten hier am Waldesrand eine Köhlerei. In Zwiesel gab es eine große Glasbläserei und dort wurde sehr viel Holzkohle gebraucht. Der Ofen in der Glasbrennerei durfte niemals ausgehen. Der große bairische Wald war ein guter Holzlieferant für die Köhlereien, die es hier zuhauf gab.
Vergangenheit: Als der Hannes Köhler noch ein Bub war
Die Köhlersleute hatten zwei Buben – Zwillinge. Hans und Georg lebten sehr glücklich so nahe am Wald. Die beiden Buden hielten sich täglich im „Holz“ auf, suchten für die Köhlerei Holz und Pilze und was sonst noch vom Wald gebraucht werden konnte. Die Eltern und ihre Köhlergehilfen hatten nicht viel Zeit für ihre Buben. Immer musste einer am Meiler Wache halten, damit dieser nicht abbrannte. So waren die beiden Buben sehr früh auf sich selbst gestellt. Sie hatten es gut bei ihren Eltern, auch wenn diese wenig Zeit für ihr Kinder hatten. Die wissenshungrigen Buben machten sich täglich auf, im Wald Neues zu entdecken. Sie brachten viel Beeren und Pilze mit nach Hause … fingen auch so manches Mal einen Hasen oder ein Rebhendl.
Hans und Girgl, wie der Georg genannt wurde, waren unzertrennlich, wie so üblich bei Zwillingen. Jedoch, eines Tages war der Girgl verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt! Keiner hat ihn jemals wieder gesehen. Fortan nannte sich der Hans nun Hansgirgl, in Erinnerung an seinen Zwillingsbruder. Manchmal sagte er Girglhans zu sich selbst, je nachdem, wie er gerade drauf war. Man konnte fast meinen, der Girgl sei in den Hans hineingeschlüpft, um mit seinem Hansl weiterleben zu können. Wer weiß schon, was alles möglich ist? Vielleicht war es auch wirklich so, dass die Seele vom Girgl in seinem Zwillingsbruder weiterlebte?
Nun, der Hansgirgl wurde immer seltsamer, verschlossener. Er hielt sich immer länger im Holz auf, wie der Wald hier auch genannt wurde, um alles besser zu erforschen. Fast konnte man meinen, der Girgl führte seinen Bruder weiterhin durchs Holz. So wurden die beiden Brüder zu einer Einheit.
Der junge Dorfpfarrer Pröbstl – es war seine erste Anstellung als Dorfpfarrer, der damals die Kinder im Dorf unterrichtete – erkannte, dass der Hansgirgl ein sehr schlauer Bub war. Er redete mit seinen Eltern, den Buben doch auf ein Priesterseminar zu schicken. Sie bräuchten auch nichts für seine Ausbildung zu entrichten, weil er den Hannes seinem Bischof empfehlen würde.
Doch mit den kirchlichen Einrichtungen – oder sogar ein Priester zu werden – hatte es der Hans gar nicht. Ein Dorfschullehrer wollte er werden, sagte er zum Pfarrer. Der allseits beliebte Pfarrer akzeptierte den Wunsch vom Hans und kümmerte sich darum, dass der Bub eine gute Lehrerausbildung bekam. Seine Eltern waren froh darüber, dass er einen gescheiten Beruf erlernen konnte. Zum Köhler war er eh nicht zu gebrauchen.
So wurde aus dem Köhlerbuben Hans der Dorfschullehrer Hannes Köhler. Nach seinem Lehrerstudium kehrte er wieder in sein Dorf zurück. Jedoch bei den Einheimischen blieb er der Lehrer Girglhans oder der Hansgirgl. Die Schulkinder nannten ihn respektvoll Herr Lehrer Köhler.
Zurück in der Gegenwart: Besuch vom Girgl
Der Hannes Köhler stand in seiner Stube und schaute auf die drei kleinen Mädels herab. Es war ihm ganz seltsam zumute. Der Raum der Hütte begann plötzlich zu flirren. Hans meinte, er würde gleich in Ohnmacht fallen. Doch eine innere Gewissheit sagte ihm, dass ihm nichts geschehen würde. Er solle sich einfach nur setzen und zuhören!
Zuhören?! … dachte Hannes verwirrt.
Ja, zuhören! … sagte eine Stimme zu ihm. Hör mir zu!
Da stand plötzlich leibhaftig sein Bruder Girgl vor ihm, so, wie er damals als Bub verschwunden war. Hannes glaubte, er würde den Verstand verlieren.
„Hans, ich bins, dein Bruder Girgl. Weil du die drei Mädels aufgenommen hast, kann ich dich heute besuchen und mit dir reden. HANS, hör mir gut zu! Ich kann nicht lange bei dir bleiben.
Damals, als ich so plötzlich verschwunden bin, ging ich in die Anderswelt – die Anderswelt von unserem Wald – ich musste einfach weggehen. Ich hörte immer mehr die Stimmen von dort drüben … und ich sah immer mehr kleine Menschen, die mir sagten, ich solle zu ihnen kommen. Sie brauchen mich als Verbindung zu den Menschen in der Menschenwelt. Jeden Tag, wenn ich in den Wald ging, waren sie da und zeigten mir ihre Welt. Hans, dort ist es so schön. Ich konnte dich aber nicht mitnehmen, du wurdest hier in der Menschenwelt gebraucht. Hans, ich war immer bei Dir in all den Jahren! In deinem Herzen. Durch unseren gemeinsamen Namen, den du dir gegeben hast, waren wir immer verbunden. Hast du das nicht gespürt?“
Wie traumwandlerisch nickte Hannes. Ihm schlug das Herz bis zum Hals, als sich Girgls Gestalt verwandelte und sein Bruder zu einem großen, mächtigen Zauberer wurde.
„Lieber Hans, ich muss gleich wieder weg, ich darf nicht zu lange in der Menschenwelt bleiben, sonst zerspringe ich in tausend Glasscherben und existiere dann nicht mehr. Hans, du musst den kleinen Mädels das Schreiben und das Lesen beibringen. Du musst dafür sorgen, dass sie eine gute Schulbildung bekommen. Sie werden in der Zukunft gebraucht. Behüte sie so, als seien sie deine Augäpfel. In der Zukunft, Hans, da werden die drei zusammenarbeiten und viele Schriften und Bücher erstellen, die wichtig sind für die Menschheit.“
Ein weiteres Mal veränderte sich der Girgl und aus dem mächtigen Zauberer wurde ein junger Kerl und schließlich ein alter, weiser Mann.
„Hans, versprich mir, dass diese Mädels immer bei dir bleiben, solange sie es freiwillig wollen. Du brauchst dir nie Sorgen zu machen … wegen dem Geld nicht und auch nicht wegen dem Essen … Es wird für dich und die Mädels immer gesorgt werden! Sie haben eine ganz besondere Gabe mitgebracht und werden durch die Anderswelt gelenkt und geführt.
HANS – HANS versprichst du mir das?! Ich muss wieder gehen. Ich kann nicht länger bleiben!
HANS – HANS … ich muss gehen. Leb wohl, geliebter Bruder, leb wohl!!!“
Im selben Moment löste sich die Gestalt des Mannes wie ein Nebelhauch auf.
Hans blieb allein in seiner Stube zurück. Er war aufgestanden, konnte sich aber nicht länger auf seinen schwammigen Beinen halten, sackte zu Boden. Die Stube drehte sich um ihn. Langsam, nur langsam kam er wieder zu Kräften. Und wieder bei sich selbst an.
Himmel, was war das jetzt?!, dachte er fassungslos. Spinn ich?! Der Georg ist hier gewesen! Als kleiner Bub, als der er damals verschwunden war. Und doch ist Georg auch in einer anderen Gestalt erschienen: Als großer, mächtiger Zauberer! Und dann wieder als ein junger Kerl und als alter weiser Mann. Himmel, werde ich oder bin ich verrückt geworden?!
Er versuchte, langsam wieder auf die Beine zu kommen. Ihm wurde wieder schwummrig vor Augen, blieb auf dem Boden. Erst als kleine Kinderhände auf seinem Gesicht herumpatschten, ihn bei seiner Nase anfassten und daran zogen und in ihrer kindlichen Sprache herumplapperten, die kein Erwachsener verstand, erst dann kam der Hans wieder vollkommen bei sich selbst an. Eines von den Kindern krabbelte auf seinen Bauch und rutschte weiter nach oben, zupfte an seinem Bart und bohrte in seinen Nasenlöchern herum. Das dritte Kind zog an seinen Haaren.
Himmel … wo bin ich?!, schoss es Hannes durch den Kopf. Das Kreischen, Glucksen und Kichern der drei kleinen Mädels riss ihn nun vollkommen aus seiner Benommenheit. Ja Himmel … was um alles in der Welt??? Wo kommt ihr denn her?!, fragte sich Hans. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Die kleinen Kinder hatten vor seiner Hütte gelegen. Findelkinder! Schon wieder Findelkinder vor meiner Hütte! Wie soll ich die denn schon wieder satt kriegen?! Das Essen reicht ja nicht mal für mich selbst, um satt zu werden. Die letzten Findelkinder hatte er ins Armenhaus geben müssen.
Und dann wurde ihm zutiefst bewusst, dass der Girgl da gewesen war! JETZT war der Hans vollkommen klar im Kopf. Genau, der Girgl war hier gewesen, er hatte ihn besucht! Hans sprang auf die Beine, die Kleinen flogen durch die Luft.
„GIRGL!“, schrie der Hans, „Girgl, um Himmelswillen, WO bist du?!“ Eiskalt lief es Hans über den Rücken. Was ging hier vor?!
Die Kleinen hatten sich nicht verletzt bei diesem Flug durch die Stube, zupften an seinen Hosenbeinen herum. Sie ließen ihn nicht mehr los. Er fuhr sich durch die Haare, kratzte sich am Kinn, klopfte sich hart auf die Brust. Er war kurz davor, wahnsinnig zu werden. Jedoch die drei Mädels holten ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie forderten seine ganze Aufmerksamkeit!
Der Dorfschullehrer setzte sich zu ihnen auf den Boden, nahm Kontakt auf mit der Erde, um wieder ganz klar denken zu können. Die kleinen Mädels krabbelten wieder auf Hans herum, wie kleine Kinder das halt so tun, wenn sie die Aufmerksamkeit eines Erwachsenen brauchten.
Hans, der Dorfschullehrer, überlegte. Was hatte der Georg gesagt? Er ist in der Anderswelt vom Wald? Ja, dann ist er ja gar nicht weit weg von seinem früheren Zuhause! Könnte ich mit ihm im Wald Kontakt aufnehmen?
NEIN!, war seine innere Antwort mit der Stimme vom Georg. Nein, das kannst du nicht, lieber Hans! Du musst in deiner Welt bleiben … und ich bleibe hier in der Anderswelt. Bitte such mich nicht im Holz. Das könnte für dich gefährlich werden! Du bist nicht geeignet dafür, in die Anderswelt zu reisen, und du kannst auch niemals dort leben. Du gehörst hier in die Menschenwelt, die Kinder brauchen dich!
Nicht nur die Dorfkinder, sondern auch die drei Mädels, die dir vor die Hütte gelegt wurden. Sie müssen unter deiner Führung und Liebe zu selbstständigen jungen Frauen werden. Es ist wichtig, dass sie Lesen und Schreiben lernen. Dass sie lernen, gebildet zu reden. Sie müssen Malen und Zeichnen, sie müssen Bücher schreiben lernen. All das, was du dir selbst beigebracht hast, wirst du ihnen lehren. Das ist deine zukünftige Aufgabe.
Du wirst nie Hunger leiden müssen, Hans, genauso wenig die Kinder, die du zu deinen Kindern machen musst. Sie lieben dich jetzt schon – schau sie dir an! Wie sie dich anschauen! So, wie wenn Kinder ihren Vater anschauen, voller Vertrauen. Sei ihnen ein guter, herzensguter Ziehvater.
Es wird dir kein Schaden sein. Wir, die Andersweltler, werden immer für euch sorgen!
Jetzt erst wurde dem Dorfschullehrer Hans Köhler klar: Sein Bruder war hier gewesen und hatte dafür gesorgt, dass diese drei kleinen Mädchen bei ihm Unterschlupf gefunden hatten!
Die Kinder wurden unruhig. Sie hatten Hunger und wollten etwas essen und trinken. Sie brauchten auch noch Milch.
Es klopfte an der Hüttentür. Hans schaute sich verdutzt um. Schon wieder Besuch?! Er stand langsam auf und „kämpfte“ sich zwischen drei kleinen Kindern hindurch zur Tür. Quietschend bewegte sie sich in den Türangeln. Die müsste ich auch mal reparieren, ging es ihm durch den Kopf. Er schaute in sein Oberstübchen und lächelte über sich selbst. Nein, das war jetzt mein Kopf, der mit mir redete, das war nicht der Georg!, sagte er beruhigt zu sich.
Er stand in der offenen Tür und sah niemand. Tztz … das Träumen musste jetzt aber aufhören! Eines der beiden Mädels krabbelte zwischen seinen Beinen hindurch. Er wollte es zurückholen und stolperte dabei über einen großen Korb, der vor seiner Hütte abgestellt war. „Ja, wo kommst du denn her?!“, fragte der Hansgirgl den Korb, der ihm aber keine Antwort gab. Es strahlte im Korb nur so von herrlichen Früchten, die Hans noch nie gesehen hatte, geschweige denn kannte! Das vorwitzige Mädel zog sich am Korb hoch und fasste nach einer der Früchte.
„HALT!“, rief Hans, „du kannst doch nicht einfach fremde Sachen essen, die du nicht kennst“.
Doch!, schien die Kleine durch ihr Nicken sagen zu wollen, nahm ihm die Frucht aus der Hand und schob sie in ihren kleinen gierigen Kindermund.
Der Ziehvater Girglhans zuckte mit den Schultern. Na dann … wirds dir schon bekommen!
Hans trug den Korb in die Stube und stellte ihn auf den Tisch, damit die Kleinen nicht gleich alles vor lauter Hunger in den Mund steckten. Er fand noch mehr Köstlichkeiten im Korb, die für die kleinen Kinder wirklich geeignet waren: Milch, Hafer und Honig. Daraus konnte er ihnen einen Brei kochen.
Zuerst musste er den Hafer zerstoßen und dann mit dem großen Mahlstein von der Mutter zu Mehl vermahlen. So hatte Hans das noch in Erinnerung. Milch warm machen, das Hafermehl hineinschütten und rühren. Rühren, damit ja nix anbrennt … und dann mit Honig süßen. Himmel, roch das lecker! Hans wollte gleich noch mehr Haferbrei auch für sich kochen. Den hatte er schon als kleiner Bub so sehr geliebt.
Wie hatte die Mutter den nur gekocht?, überlegte er. Hätte er doch noch ein Rezept dazu! Wo war nur das Rezeptbuch von der Mutter versteckt? Hans lehrte den Korb ganz aus und fand am Korbboden ein kleines Büchlein. Mit der Handschrift seiner Mutter! „Ja sag mal, wo kommst du denn jetzt auf einmal her?!“ Er drehte sich um, ob noch jemand im Raum war.
Nein, sagte die Girglstimme in ihm, du bist allein. Alles, was du zukünftig für euch brauchst, wird sofort gebracht! Denk immer daran. Alles, was in Harmonie mit dir und den drei Kleinen ist, wirst sofort erhalten!
Von nun an stand jeden Morgen der Verpflegungskorb vor seiner Hütte!
Der Hans dachte über sein weiteres Leben nach. Wie sollte das jetzt weitergehen? Er konnte die Kleinen doch nicht mit in den Schulunterricht nehmen. Sie störten dort doch nur die Disziplin der größeren Schüler… mit all dem Unsinn, den die Drei hier in der Stube jetzt schon anstellten. Er kam zu dem Entschluss, er brauchte dringendst eine Haushaltshilfe für die Versorgung der Kleinen. Ich werde wohl in der Gemeinde nachfragen müssen, wer mir da zur Hand gehen kann, überlegte er. Freitag – Samstag – Sonntag, und am Montag ist die Schule geschlossen. Da habe ich selbst Zeit für die Kinder. Aber drei Tage in der Woche brauche ich dringend Hilfe. Kaum hatte der Hans diese Gedanken fertig gedacht, klopfte es an der Hüttentür. Nanu, wer kommt denn jetzt?!
Hilfe für Hansgirgl und Familiengründung
Die Tür öffnete sich und der Dorfpfarrer stand draußen und schaute den Dorfschullehrer bittend an. „Lieber Hans, könntest du mir helfen? Die Tochter meiner Haushälterin braucht dringend eine Dienststelle, wo sie etwas lernen könnte. Vielleicht hättest du eine Idee dazu? Sie könnte deinen Haushalt sauber halten und gleichzeitig lesen und schreiben lernen. Die Gertrude, so heißt das Mädel, konnte nie die Schule besuchen. Aber jetzt will das Mädel was lernen … und da dachte ich an dich.“
Im Hintergrund der Stube hörte der Pfarrer Kindergeplapper und schaute neugierig in die Stube, und sah den Dorfschullehrer fragend an. Der Hans erzählte dem Pfarrer von den Findelkindern und dass er sie nicht in das Armenhaus abgeben würde. Er wollte die drei Mädel selbst erziehen, bräuchte aber eine Hilfe dazu, während er im Schulhaus war.
Die beiden Männer sahen sich fragend an. Wurden hier ihre Probleme an einem Tag gelöst? Die beiden waren sich sehr schnell einig. Der Dorfpfarrer Pröbstl hielt seine Hand dem Dorflehrer Köhler hin. Mit einem kräftigen Männerhandschlag wurde die Vereinbarung besiegelt!
Nun war es besprochen und so blieb es auch, bis die Kleinen für sich selbst sorgen konnten oder aus dem Haus gingen. Die beiden Männer saßen noch eine Weile vor der Hütte zusammen und sprachen über dies und das. Dann fragte der Pfarrer den Lehrer: „Sag mal Hans, wie ist es denn mit der Taufe der Mädels? Welchen Namen tragen sie? Hast du schon darüber nachgedacht? Gibst Du ihnen deinen Familiennamen?“
Darüber nachzudenken, hatte der Hannes noch gar keine Zeit gehabt. Seit drei Tagen waren sie nun bei ihm und er fühlte sich schon richtig wohl mit ihnen. „Nein, Herr Pfarrer, da hab ich noch nicht darüber nachgedacht. Ich muss meinen Findelkindern noch Namen geben. Da hab ich ja noch ein bisserl Zeit dazu.“
Der Pfarrer sagte zu ihm: „Wart aber nicht zu lange! Du weißt, der Gendarm könnte dir die Kinder wieder wegnehmen … bist ja nur ein Mannsbild. Zwar mit einem guten Ruf, hast aber kein Weib im Haus. Musst zum Richter in die Kreisstadt gehen und dort anzeigen, dass du die Kinder vor deiner Hütte gefunden hast und sie als deine Kinder annehmen willst. Dazu brauchst eine Genehmigung, und die Kinder sollten deinen Namen tragen dürfen. Es soll alles seine Richtigkeit haben, damit die Kleinen bei dir bleiben können. Ich werde dir morgen früh die Tochter meiner Haushälterin schicken, dann kannst du die Gerdi gleich kennenlernen.“
Nachdem der Pfarrer gegangen war, schaute der Hansgirgl „seine“ Kinder an und überlegte, welche Mädchennamen wohl am besten zu ihnen passten. Als Erstes dachte er an die größte der drei; sie war die friedlichste von allen. Friedlinde!, schoss es ihm in den Kopf. „Ja genau, so werde ich dich nennen!“ Er nahm „Friedlinde“ auf den Schoß, schaute ihr in ihre kindlichen, verträumten Augen und fragte sie: „Na, du kleiner Spatz, wie soll ich dich nennen, welchen Namen möchtest du denn tragen?“ Sie schauten sich beide tief in die Augen. Der Hans sagte zu ihr: „Friedlinde. Wie gefällt dir der Name Friedlinde?“
Die Kleine legte ihr Köpfchen zur Seite, so, als ob sie überlegen müsste.
„Friedlinde“, sagte der Hans nochmals zu ihr. Willst du Friedlinde heißen?“
Ein Leuchten entstand in ihren Augen. Sie strahlte über ihr ganzes Gesichtchen und nickte mit ihrem Köpfchen. Mit ihren gerade mal geschätzten eineinhalb Jahren schien sie ganz genau zu wissen, was soeben geschah. Sie erhielt den Namen, der sie ein Leben lang begleiten würde.
„Friedlinde Köhler sollst ab jetzt heißen, mein Kind!“
Die anderen Mädels krabbelten zu ihrem Ziehvater hin, zogen sich an seinen Beinen hoch und standen um ihn herum, so, als ob sie darauf warten würden, ebenfalls einen Namen zu erhalten.
So kam die etwas Kleinere dran. Hans schaute sie an und dachte daran, dass bei allen Streitereien sie es war, die meistens als Siegerin hervorging. Hans ließ den Kopf auf die linke Schulter sinken, so, als ob er auf diese Weise leichter denken könnte. „Ja genau, du wirst „Sieglinde“ heißen! Na, was meinst du dazu, du kleine Kämpferin und Siegerin? Gefällt dir Sieglinde?“
Die Kleine hopste derart auf seinen Oberschenkeln herum, dass er Angst hatte, dass sie gleich auf den Boden fallen würde, so eine Freude zeigte sie bei ihrem Namen.
„So sollst du Sieglinde Köhler heißen, mein Kind!“
Und nun kam die stillste und ruhigste der Mädels an die Reihe. Es war schon sehr schwierig für Hans, einen Namen zu finden. Sie war die kleinste – wobei die Kinder anscheinend gleichen Alters waren.
Hans hatte die Eingebung, mit den Mädels in den Garten zu gehen. Das tat er dann auch gleich. Es war schön warm draußen. Die Sonne schien und die Blumen hatten ihre Blütenköpfe alle geöffnet. Die alten Rosenstöcke waren in voller Blüte und dufteten sehr stark, aber angenehm. Seine Mutter hatte diese Rosen über alles geliebt. Die noch namenlose Ziehtochter von Hans krabbelte sehr gern im Garten herum, der schon sehr stark verwildert war.
Ein Name wollte gerade zu Hans fliegen … etwas mit Blumen, dachte er. Die Kleine krabbelte zielstrebig zum Rosenstock, blieb dort sitzen und schaute mit verklärtem Blick auf die Rosenblüten. Hans brach eine Blüte davon ab und gab sie der Kleinen in ihre kleinen Patschhändchen. Sofort roch sie daran und es war, als ob sie sich selbst ihren Namen geben würde. Da! Rosalinde!, fiel es dem Hans plötzlich ein. Ja, Rosalinde! So hieß auch seine Mutter. Rosl hatte sein Vater zu ihr gesagt.
„Rosalinde“ Köhler nannte sich die dritte Ziehtochter vom Köhler Hans.
Hannes Köhler kniete sich auf die Erde und nahm seine Ziehtöchter gleichzeitig in die Arme und sprach mit fester Stimme laut und deutlich:
„Ich, Hannes Köhler, gelobe, dass ich alle drei Findelkinder an Kindes Statt annehmen werde, Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde zu meinen Kindern erkläre und eintragen lasse in das kirchliche und gemeindliche Amtsregister. So lange ich, Hannes Köhler, lebe, werde ich für euch sorgen, euch lieben und achten. Ich werde es niemals zulassen, dass euch Böses geschieht.
Ich gelobe dies, so wahr ich, Hannes Köhler, Dorfschullehrer in der Gemeinde „Köhlermeiler“ bin!“
Hans Köhler legte noch zur Bekräftigung seiner Worte eine Hand auf sein Herz und jedem Mädel die rechte Hand aufs Haupt und sprach mit klarer lauter Stimme, so, als ob es alle Welt hören müsste:
„Ich ernenne dich, Friedlinde, zu meinem eigenen Kind – Friedlinde Köhler
Ich ernenne dich, Sieglinde, zu meinem eigenen Kind – Sieglinde Köhler
Ich ernenne dich, Rosalinde, zu meinem eigenen Kind – Rosalinde Köhler
Ich gelobe hier und jetzt vor aller Welt, auf dass es ALLE hören und wissen sollen:
„Ich, Hannes Köhler, bin der Vater dieser Findelkinder, die von nun an meinen Namen „Köhler“ tragen.“
Besuch von der Anderswelt – ein neues Leben beginnt
Mit den letzten Worten, die Hans mit lauter und kraftvoll inbrünstiger Stimme sprach, begann sich die Welt um ihn herum zu verändern. Eine zauberhafte Welt entstand in seinem Garten und um sein gesamtes Grundstück herum. Dort, wo der Meiler einst gestanden hatte und die Erde total verbrannt war und nichts mehr wachsen konnte, öffnete sich die Erde und es stiegen nacheinander viele kleine Lebewesen aus der Erde hervor: Erdmännlein und Erdweiblein mit ihren Familien, Zwerge und Gnome. Aus dem Wald kamen die Waldwesenheiten: Die Baumelfen und Feen, die Devas mit ihren Zauberkräften.
Der gesamte Garten vom Köhler Hans begann zu vibrieren, zu wachsen, sich zu verändern. Es wuchsen in Windeseile Kräuter, viele Gemüsesorten, Blumen. Und der Rosenstrauch begann sich zu verjüngen. Die Blätter wurden grün und kraftvoll, Rosenknospen kamen zum Vorschein und erblühten sofort im schönsten leuchtenden Rosa …
Aus der Rosenwurzel heraus begann eine Gestalt zu wachsen, die immer größer und strahlender wurde, bis sie über die kleine Hütte hinausgewachsen war. Ein großer, mächtiger Zauberer stand vor Hans und seinen Kindern, und es war niemand anders als der Bruder von Hans, der Georg!
Hans und die Mädels schmiegten sich, nicht vor Angst, doch höchst beeindruckt, eng aneinander, als der mächtige Zauberer zu sprechen begann:
„Hannes Köhler: Heute wirst du aufgenommen in den Kreis der Menschen, die mit der Anderswelt Kontakt aufnehmen dürfen und können. Du hast diese kleinen Menschenkinder zu deinem eigenen Fleisch und Blut erklärt. Dadurch zeigst du allen in diesem Erdkreis, dass du ein guter Herzensmensch bist. Zeitlebens wird es dir und deinen Kindern an nichts mehr fehlen. Ihr werdet stets beschützt sein durch die Kräfte der Anderswelt. Immer, wenn ihr einen Wunsch aussprecht, der zum allerhöchsten Wohle euch allen dient, wird er erfüllt werden.
Hannes Köhler, von nun an sind diese Findelkinder Friedlinde – Sieglinde – Rosalinde vor aller Erde deine eigenen Kinder und niemand kann sie dir mehr wegnehmen. Du hast ihnen die richtigen Namen gegeben, die seit jeher dafür bestimmt waren, diesen Kindern zu gehören. Du hast alles erfüllt, was du erfüllen musstest, damit diese Menschenkinder ihren Weg hier auf Erden gehen können. Lerne ihnen, was sie brauchen, um den Menschen mit ihren Büchern zu dienen.“
Der Zauberer nahm seinen Zauberstab aus seinem riesigen Mantel und ließ einen flirrenden goldenen Strahl vor Hans und seinen Kindern auf den Boden fließen. Er zeichnete ein Symbol vor ihnen auf die Erde und zog einen Kreis drumherum. Der flirrende goldene Lichtstrahl in der Mitte des Kreises bewegte sich ihm Rhythmus des Zeichenstabes. So entstanden nacheinander drei goldene Gänsefedernkiele. In dem Augenblick, wo das Gemälde fertig war, zog sich der flirrende goldene Lichtstrahl wieder zurück in den Zauberstab. Das Gemälde auf der Erde begann sich zu bewegen, zu dehnen und zu strecken. Es wurde lebendig! Drei goldene Federn wurden lebendig! Hannes glaubte, seine Augäpfel würden gleich aus ihren Höhlen fallen, so weit riss er sie auf.
Die kleinen Mädel aber krabbelten zu den Federn hin und jede suchte sich ihre ganz persönliche Feder heraus. Fortan würden die goldenen Federn nur noch in der Hand schreiben, mit der sie jetzt zum Schreiben erweckt wurden. Die Mädchen begannen, sofort auf die Erde zu kritzeln, und es schien so, als ob die Federn die Führung übernehmen wollten. Die Mädchen hatten großen Spaß daran, mit ihren „Schreibgeräten“ zu üben.
Im Garten begannen die Naturgeister, ein Fest vorzubereiten. Bald darauf wurde ein Familienfest gefeiert mit den Andersweltlern, wie es Hans nie zuvor erlebt hatte und nie mehr wieder erleben würde.
Auf den Tischen im Garten wurden die köstlichsten Früchte aufgetischt, die ein Mensch sich nur denken konnte. Das Fest dauerte so lange, bis die Sonne bereits am Untergehen war. Die Andersweltler zogen sich wieder in ihre Reiche zurück mit der Botschaft, dass sie zu jeder Zeit und immer und ewig Hans und seine Kinder behüten und beschützen würden.
So wie die Erdmännlein und Erdweiblein mit ihren Erdkindern verschwunden waren, waren auch die Waldbewohner wieder zurück in den Wald gegangen. Die Andersweltler kehrten noch vor Sonnenuntergang zurück.
Der Zauberer Georg schenkte seinem Bruder Hans und den drei Mädels noch einen liebevollen Blick, bevor auch er wieder durch den Rosenstock zurückkehrte in seine „Zauberhafte Welt.“
Langsam kehrten wieder irdische Verhältnisse ein auf dem Grundstück vom Dorfschullehrer Köhler Hans. Er wurde wieder zum Hansgirgl, der voller Liebe auf seine Familie schaute. Morgen früh würde er zum Dorfpfarrer Pröbstl gehen und seine Kinder in die Kirchenbücher eintragen lassen, damit alles seine Richtigkeit hatte. Und niemand konnte ihm dann die Kinder mehr wegnehmen. Die Gertrude würde dann mit ihm kommen und seine Kinder kennenlernen … und hüten, wenn er als Dorfschullehrer in der Schule war.
So vergingen die Jahre voller Frieden. Die Mädels wuchsen zu zauberhaften Wesen heran und lernten, alle Buchstaben zu schreiben. Lernten mit den goldenen Federn wunderschöne Bilder zu zeichnen, zu malen und zu schreiben. Konnten auch sehr gut mit den Zahlen rechnen. Gertrude lehrte sie das Stricken, Nähen und Sticken. Die Mädchen stickten Blumen auf die Kleider, die Gertrude mit ihnen nähte. Sie waren zu einer wunderbaren „kleinen“ Familie zusammengewachsen. Die Gertrude ging täglich nach Hause, sobald der Dorflehrer heimkam. Heimlich hatte sie sich in den Hannes Köhler verliebt. Sie sah ihn sehr gerne. Hatte aber großen Respekt vor ihm und seinem Wissen. Ihre unerfüllte Liebe zum Hannes ließ sie den drei goldigen Mädels angedeihen. Die Kinder wieder liebten die Gertrude wie eine Mutter.
Hannes dagegen mit seinen reifen 40 Jahren empfand für die Gertrude „nur“ wie ein Vater. Er war sich viel zu alt für eine Ehe. Fand er! So lebten sie alle recht gut zusammen. Die Not schaute bei ihnen nicht herein, auch nicht, als große Hungersnot im Land ausbrach. Im Gegenteil! Sie konnten durch ihren reichhaltigen Garten, der seltsamerweise nie verdorrte, vielen Menschen helfen.
Durch die Verbundenheit zur Anderswelt wuchsen sehr viele Kräuter um das gesamte Anwesen vom Dorfschullehrer. Das Wissen und die Weisheit zur Heilung mit den Kräutern nahmen die Mädels von den Pflanzen auf. Sie kauten oder lutschten oft an den Blättern oder Blütenköpfen – oder kochten die Wurzeln aus. Sie probierten viele Salben und Süppchen und Seifen. Ihr Ziehvater staunte oft über seine Kinder, wenn sie mal wieder ein Rezept erstellt hatten, das wunderbar wirkte, die Seifen lieblich dufteten usw. Die Menschen im Dorf und aus dem Umland kamen gerne bei ihnen vorbei und holten sich so manches Kräutlein, Salben oder Seifen vom Garten des Dorfschullehrers.
Den Badern, Quacksalbern und anderen sogenannten Doktoren wurde das immer mehr ein Dorn im Auge. Sie stichelten erfolgreich beim Dorfbüttel, der diese vermaledeiten Weibsbilder eh nicht leiden konnte.
20 Jahre später
Der Dorfschullehrer Hannes Köhler war mit seinen nun guten 60 Jahren schon ein alter Herr geworden; die Mädels erwachsene junge Frauen, die mit ihren goldenen langen Locken so manchen Jüngling anlockten. Jedoch diese Bemühungen fielen auf keinen fruchtbaren Boden. Die jungen Frauen wollten niemals in eine Ehe einwilligen, mussten sie doch dadurch ihre Berufung an den berühmten Nagel hängen. Auch würden sie durch eine Heirat voneinander getrennt werden, und das ging ja schon mal gar nicht! Sie waren wie Drillinge miteinander verbunden … für immer und ewig.
Eines Morgens lag ihr geliebter Vater tot im Bett. Der Schock der drei goldenen Federn, wie sie sich heimlich nannten, war groß! Sie liefen sofort zum Dorfpfarrer Pröbstl, um ihn um Hilfe zu bitten. Für einen Todesfall in der Familie waren sie nicht vorbereitet! Darüber hatten sie miteinander nie gesprochen. Sie hatten schon des Öfteren von Trauerfällen im Dorf gehört und diese mitbekommen, aber selbst nie mit so einem Einbruch in ihren Familienverbund gerechnet.
Der Pfarrer Pröbstl und die Gertrude kamen sofort mit ihnen ins Köhlerhaus. Der Vater war wohl mitten in der Nacht ruhig eingeschlafen. Die Gertrude hatte ein sehr gutes Händchen für ihre Mädels, wie sie sie immer nannte. Sie nahm sie tröstend in die Arme.
Pfarrer Pröbstl stellte ein Schreiben aus, in dem stand, dass der Dorfschullehrer Hannes Köhler an einem natürlichen Tod gestorben war. Er war im Alter von 60 Jahren selig eingeschlafen, was zu dieser Zeit schon ein sehr langes Leben war.
Die Beerdigung wurde von der kirchlichen Gemeinde ausgerichtet, was einem Dorfschullehrer von Amts wegen zustand. Nach der Trauerfeier las der Dorfbüttel das herzogliche Schreiben vor der Trauergemeinde laut vor, in dem öffentlich bekannt gegeben wurde, dass das Köhlerhaus und das dazugehörige Grundstück wieder an den herzoglichen Besitzer zurückgegeben werden mussten. Das Grundstück, auf dem die Köhlerei einst stand, musste sofort geräumt und der fürstlich-kirchlichen Obrigkeit zurückgegeben werden.
Die Mädchen würden unter der Obhut des Pfarrers einige Wochen Zeit haben, um sich ein neues Zuhause zu suchen. Dennoch: Das Entsetzen der jungen Frauen war groß. Ohne den männlichen Schutz ihres Vaters waren sie „vogelfrei“ und mussten sich durch eine Verheiratung untergeben.
Das kam für Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde überhaupt nicht in Frage! Noch in der folgenden Nacht verschwanden die jungen Frauen auf Nimmerwiedersehen! So wie damals ihr „Onkel Georg“ spurlos verschwunden war.
In der Anderswelt waren diese Ereignisse vorhersehbar gewesen. Der große Zauberer Onkel Georg hatte es bereits schon vor längerer Zeit in seinem Zauberspiegel gesehen und hatte alles in Bewegung gesetzt, damit seine Nichten noch in dieser Nacht abgeholt wurden.
Schon Tage vorher, bevor Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde ihre wenigen Habseligkeiten in einem großen Tuch zusammenpackten, war ein Ehepaar auf der Reise zum Köhlerhaus unterwegs. Das Ehepaar war mit einem abgedeckten Fuhrwerk und zwei Rössern als Kaufleute auf dem Weg. Die Eheleute hatten bereits eine Reisegenehmigung vom Kurfürstlichen Amt erhalten, um ihre Wirkwaren in Niederbayern verkaufen zu können. Ihre Reise dort hin war sehr beschwerlich und gefährlich, weshalb sie auch ihre drei „Nichten“ als Begleitung mitnehmen durften. In Passau fand der alljährliche Jahrmarkt statt, zu dem sie unterwegs waren. Als eingetragene Ständler und Händler durften sie auch Begleitpersonen mitnehmen. Ihr Reiseweg führte direkt am Köhlerhaus vorbei, um hier die Stoffballen, die von der Gertrude und den drei Ziehkindern des Köhlers bestickt wurden, abzuholen.
Die drei Mädchen wurden von Onkel Georg unterrichtet, dass sie um Mitternacht fertig sein sollten. Es würde jemand vorbeikommen und sie abholen. Mit dem berühmten Glockenschlag zu Mitternacht klopfte es an ihrer Hüttentür. Die Mädels zuckten erschrocken zusammen, griffen aber sofort ihre Habseligkeiten und wollten ihre goldenen Federn in die Geheimtaschen ihrer Röcke schieben, als sich diese in Goldmünzen und einige Silbertaler verwandelten.
Auf dem Küchentisch blieb nur das große bestickte Tuch zurück, mit dem sie alle drei damals eingewickelt vor der Hütte des Köhlerhäusels ausgesetzt worden waren.
Die Tür öffnete sich und eine Frau stand davor, winkte ihnen zu und sagte, dass sie sich beeilen sollten.
Die Mädchen kamen der Aufforderung sofort nach, blickten sich auch nicht mehr in der Hütte um. Sie zogen die Tür hinter sich zu und stiegen auf den Wagen, der mit einer großen Plane abgedeckt war.
Gertrudes neues Leben
Als am nächsten Morgen die Gertrude zum Köhlerhaus kam, blieb sie wie angewurzelt vor dem Garten stehen. Das verwaiste Haus sah aus, als würde es seit einem halben Jahrhundert leer stehen. Der Garten war verwildert, die Blumen und Kräuter von Gras überwuchert. Der Rosenstrauch verdorrt. Im Haus gab es überall Spinnweben, Mäusedreck und Staub. Eine weißliche Schicht davon überzog den Tisch und die Stühle. Der Ofen war kalt und verrostet.
Da waren keine Friedlinde, keine Sieglinde und keine Rosalinde, die ihr freudig die Tür öffneten! Gertrude konnte sich von diesem grauenhaften Anblick nicht lösen. Die Mädels waren spurlos verschwunden! Jedoch vernahm sie in ihrem Innern die Stimme vom Lehrer Köhler. Er erzählte ihr, dass seine Mädels nun ebenso, wie sein Bruder damals, in eine andere Welt gegangen wären. Keiner würde sie jemals wiederfinden. Liebe Gerdi, geh nach Hause und heirate den Mann, der dir gut ist und dich auf seinen Händen trägt!, vernahm Gertrude die Stimme vom Hannes Köhler in ihrem Kopf.
Gertrude schaute sich im Haus um, ob sie noch irgend etwas Brauchbares finden konnte. Auf dem Küchentisch lag das große Tuch sauber zusammengerollt, das damals die kleinen Kinder gewärmt hatte, als sie vor gut 20 Jahren als Findelkinder ausgesetzt worden waren. Das Wolltuch jedoch war nicht verstaubt und nicht zerrissen, sondern sauber. Gertrude nahm das Tuch an sich als Andenken und zur Erinnerung an eine sehr schöne Zeit. Als sie das Wolltuch auseinanderschlug, um es sich umzulegen, fielen einige Silberlinge und mehrere Goldtaler heraus. Das war ihr Lohn für all ihre liebevollen Dienste, die sie jahrelang hier geleistet hatte. Tränen der Rührung und Dankbarkeit rannen über ihre Wangen.
Gertrude machte sich auf den Weg nach Hause und dachte über ihr weiteres Leben nach. Sie würde jetzt ihren heimlichen Verehrer heiraten, war ihr nächster Gedanke, damit sie gut versorgt und beschützt ihr weiteres Leben verbringen konnte. Gertrude war jetzt eine reiche Frau und konnte sich ihren Gemahl selbst auswählen! Dem Hubertus Schmied wollte sie ihr Ja-Wort geben, er hatte lange genug auf sie gewartet! Schnurstracks ging sie in seine Schmiede, stellte sich breitbeinig vor ihn hin und schaute ihm tief in seine liebevollen Augen. „Hubertus Schmied, willst du mein Ehemann werden? Ich bringe mehrere Silberlinge und Goldtaler und ein großes Wolltuch mit in die Ehe. Mehr habe ich nicht. Ich frage dich nur ein einziges Mal!“, sagte sie in einem Ton, der keine Widerrede duldete.
Der Hubertus war so verdutzt über das, was ihm seine heimliche Liebe sagte, dass er sie nur noch in seine starken Schmiedearme nehmen konnte, sie fest an sich drückte und ihr endlich den langersehnten Kuss auf ihre wunderschönen Lippen presste.
„Au … du grober Lackl du! Also, des busserln musst du noch besser lernen!“ Gertrude nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände und drückte ihm einen liebevollen, sehnsuchtsvollen Kuss auf den Mund. „So geht das, du lieber grober Lackl du!“ Sie fasste ihn an beiden Ohren und schüttelte seinen Kopf.
Hubertus nahm sie in seine Arme und trug sein Trudchen in die Stube hinüber und ließ sie nun nicht mehr los. Endlich würde sein Trudchen ihm gehören! Sein liebster und innigster Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Am nächsten Tag gingen sie sofort zum Pfarrer Pröbstl und bestellten das Heiratsaufgebot. So schnell wie möglich sollte geheiratet werden!
Der Pfarrer Pröbstl war zunächst sprachlos, doch dann freute er sich mit diesen beiden nicht mehr ganz so jungen Brautleuten, die vor ihm standen. Er kannte sie ja schon von Kindheitstagen an.
Gertrude erzählte dem Dorfpfarrer auch, wie sie gestern zum Köhleranwesen gekommen wäre und alles verwaist vorgefunden hätte. Die jungen Frauen spurlos verschwunden wären. Der Pfarrer Pröbstl nickte nur mit dem Kopf. So, als ob alles jetzt seine Ordnung hätte. „So ist jetzt alles gut“, sagte er nur, denn die Mädels wären sonst wohl in eine Ehe gezwungen worden, und das wäre ihm, dem Dorfpfarrer, gar nicht recht gewesen.
Pfarrer Pröbstl und das nicht mehr ganz so junge Brautpaar saßen noch eine längere Zeit bei einem guten Glas Roten zusammen und erzählten sich viele Geschichten vom Dorf. Vom Köhlerhaus, von den drei Mädels, vom Dorfschullehrer. Tranken alle ein bisserl viel vom süßen Roten und wurden immer lustiger.
Um Mitternacht gingen die frisch Verlobten selig engumschlungen nach Hause, und der Pfarrer schlief auf seinem Sofa ein. Er träumte vom Dorfschullehrer und seinem Bruder Georg, die nun wieder als Zwillingsbrüder vereint waren … in einem anderen Land … in einer anderen Dimension. Der Dorfschullehrer hatte alles richtig gemacht in seinem Leben. So durfte er jetzt in seinem wohlverdienten Ruhestand ins Paradies einziehen.
Die Flucht mit dem Planwagen
Der Mann auf dem Kutschbock lenkte den Planwagen mit den zwei Rappen in Richtung Wald auf jenen Waldweg, den die drei Mädels mit dem Vater öfter gegangen waren. Kaum waren sie im Wald, veränderte sich um sie herum die gesamte Umgebung. Hinter dem Gefährt wuchsen dichte Sträucher von Brombeeren, Waldhimbeeren und anderes Gestrüpp so dicht und viele Meter hoch, dass kein Durchkommen mehr war. Die Waldwesenheiten, die Baumwesen, Zwerge und Gnome, alle Hüter des Waldes, webten ein dichtes Geflecht aus dornigen Sträuchern, so dass kein Mensch mehr in diesen Wald jemals wieder eindringen konnte.
Das Ehepaar auf dem Kutschbock kannte diese Wegstrecke wohl ganz gut. Zielstrebig lenkte es das Gefährt durch die bucklige Landschaft.
Die Frau stellte sich als Agnetha vor, und ihr Mann sei der Matze. Agnetha sagte zu den jungen Frauen, sie könnten sich nun ausruhen und schlafen. Die Fahrt würde lange dauern. Sie gab ihnen eine warme Decke und Kissen. Die Mädels kuschelten sich eng aneinander, so, wie sie es immer getan hatten.
Der Planwagen mit den zwei Rappen und seiner wertvollen Fracht hatte schon eine lange Strecke zurückgelegt. Sie waren bereits einige Tage unterwegs. Die Straße war eben, war ohne zu viel eingefahrene Wagenrinnen und Löcher. Die beiden Rappen trabten freudig dahin, so, als hätte sie keinen schweren Wagen zu ziehen.
Vor den Toren Passaus angekommen, machten sie eine längere Pause. Es gab eine ausgiebige Brotzeit mit gutem geselchtem Fleisch, Sauerteigbrot, und ein kräftiges Bier dazu. Die drei Mädels probierten die kräftige Kost, jedoch blieben sie lieber bei ihrem Obst, das immer noch täglich auf geheimnisvolle Weise in ihrem Essenskorb vorrätig war. Das Ehepaar schien es gar nicht zu interessieren, wo das Essen ihrer Mitreisenden herkam. Überhaupt wusste es eh mehr von den Dreien, als diese ihnen erzählt hatten.
Auf der tagelangen Reise hatten sich die jungen Frauen mit dem Händlerehepaar gut angefreundet. Frau Agnetha berichtete den drei Mädels, dass es im Süden Bayerns einen großen See Namens Chiemsee gab und dort auf einer Insel ein Frauenkloster. Hier könnten die Mädels Unterschlupf finden und sogar in das Kloster eintreten und Novizinnen werden. Wenn sie es so wollten. Bei den Nonnen hinter den Klostermauern würde sie niemand mehr suchen und schon gar nicht finden.
Die Mädels bräuchten nur wieder eine gute Mitfahrgelegenheit, denn der Weg zum Chiemsee wäre noch um einiges weiter als der, den sie bisher zurückgelegt hatten. Der Händler sagte zu ihnen, er kenne einen Tuchhändler, der zum Chiemsee unterwegs wäre und die jungen Frauen sicher dorthin mitnehmen würde. Gegen einen kleinen Obolus von einigen Silbermünzen.
Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde verabschiedeten sich von Agnetha und Matze und bedankten sich recht herzlich. Als sie dem Ehepaar einige Silbermünzen geben wollten, waren die beiden samt Pferdefuhrwerk einfach verschwunden … Verschwunden im Nichts.
Die drei jungen Frauen bedeckten ihre goldfarbenen langen Locken mit ihren Kopftüchern und gingen durch die Straßen von Passau. Sie fragten sich durch bis zum Jahrmarkt. Wie sollten sie hier in diesem Durcheinander jemals den richtigen Händler finden?!
Macht euch keine Sorgen!, hörten sie in ihrem innersten Sein. Ihr wisst, für euch ist immer gesorgt. Geht einfach auf den Markt und schaut euch alles an. Genießt den Tag. Bis zum Abend werdet ihr euren zukünftigen Reisebegleiter schon finden.
Gut gelaunt machten sie sich auf den Weg, schlenderten über den Markt. Sahen viel dargebotene Waren, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Doch bald war es nicht mehr lustig, denn zu viele Menschen drückten und schoben sich durch den Markt. Ein freiwilliges Vorwärtskommen war schier unmöglich. Es herrschte ein Gebrüll um die Mädels herum, dass es ihnen schier übel wurde. Vom Geruch des Marktlebens ganz zu schweigen. Das Brüllen der Rinder, das Wiehern der Pferde, das Quieken der Schweine, das Gackern der Hühner, das Kikeriki der Gockel, das Plärren der Kinder, das Rufen der Händler, die Streitereien der Käufer mit anderen Käufern – wer was zuerst in den Händen hielt und kaufen wollte … es war die Hölle für die jungen Mädels, die zeitlebens auf dem ruhigen Land aufgewachsen waren. Die ganze Welt des Jahrmarkts drehte sich um sie. Sie drohten, in diesem Wirrwarr verloren zu gehen.
Sie riefen still in ihrem Innern Onkel Georg um Hilfe. Sofort spürten sie eine unsichtbare Hand, die sie aus diesem Wahnsinn hinausführte. Hinaus in die Freiheit eines Platzes, wo sie wieder frei atmen konnten: Auf eine Wiese mit vielen schönen bunten Blumen. Streichelnd und liebend umfing sie die freie Natur. Die Naturwesen umsorgten die Mädels mit der Energie, die sie jetzt brauchten. Die jungen Frauen ließen sich ins Gras fallen und spürten den Boden wieder unter ihren Füßen und Händen. Langsam kamen sie wieder bei sich selbst an. „Nie wieder! Nie wieder! Nie wieder!“, kam es wie aus einem Mund. Nie wieder würden sie freiwillig auf einen Markt gehen!
Nach einigen Minuten der Erholung sahen sie sich um, wo die unsichtbare Hand sie denn hingeführt hatte. Sie sahen in nicht allzu weiter Entfernung einen riesigen Fuhrwagen mit noch größeren Rössern, als die Rappen vom Matze schon gewesen waren. Die Mädels wussten sofort: DAS ist das Fuhrwerk, mit dem sie weiterkommen konnten!
Sie gingen langsam den Weg entlang, der sie zum Fuhrmann führte. Der wartete wohl schon auf sie, so wie er sie ansah. „Na endlich, da seid ihr ja! Ich warte schon längere Zeit auf euch! Matze und die Agnetha haben mir schon gsagt, ich soll drei fesche Madeln mitnehmen mit nach Gstadt, dort wo ihr übersetzen könnt zur Fraueninsel.“
Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde staunten mal wieder über alle Maßen, wie gut doch der Girgl-Onkel ihre Flucht und die gesamte Reise geplant hatte. Der größte Teil der Reise war wohl vorgesorgt mit gutem Essen, Trinken, Weggefährten und was sie sonst noch so auf dieser langen Wegstrecke benötigten.
Der Fuhrmann stellte sich und seine Rösser vor: „Ich bin der Benedikt. Mich nennen alle nur „Bene“. Und das sind meine Kaltblutrösser. Der größte ist der Maxl, der zieht den Wagen fast ganz alleine, so eine Riesenkraft hat der Bursche.“ Er klopfte dabei dem Ross kräftig auf dessen Hinterteil. Während der Bene seine kaltblütigen Pferde erklärte, zurrte er die Plane seines Fuhrwerks noch mal ordentlich fest, damit sie auf der rasenden Fahrt nicht locker werden würde. Das erklärte er auch seinen Fahrgästen. „Das etwas kleinere Ross ist der Hansl, der hat nicht so viel Kraft in seinen Haxen“, fuhr Bene fort. Und auch der Hansl bekam einen kräftigen Schlag auf sein Hinterteil. Die Kaltblüter hatten ein schwarzes dichtes Fell. Fast so schwarz wie die Rappen vom Matze, dachten sich die Mädels. Nur über den Fesseln und bis hinunter zu den Hufen hatten die beiden Rösser weiße Fellstiefel an. Konnte man meinen.
Die Pferde schnaubten und wieherten unruhig, zogen am Fuhrwerk und wollten endlich losfahren. Die Zeit drängte, und sie mussten noch vor der Nacht in der Herberge ankommen!
„Äääha – brrrr“, brüllte der Bene los, „glei hommas. Los Madels, rauf auf den Karren, sonst rennen die Rösser ohne uns los!“ So kräftig wie er war, hob er die Mädchen mühelos und schwungvoll eine nach der anderen auf den Wagen, der noch einmal so hoch war, wie der vom Matze und der Agnetha. Bene sagte, sie sollten sich unter der Zeltplane auf die mittleren Bretter setzen, die über Stoffballen lagen und festgezurrt waren.
Kaum waren die drei Mädchen im Wageninneren verschwunden, schwang sich der Bene auf den Kutschbock, schnalzte mit der Zunge, und knallte mit der Kutscherpeitsche über die Köpfe seiner Kaltblüter hinweg. Ein kräftiges „Hwüa“ erscholl, und der Maxl und der Hansl zogen mit aller Kraft an der Deichsel, mit der sie mit dem Pferdegeschirr fest verbunden waren. Das Brustkummet der Rösser straffte sich um die Brust der Pferde; die Pferdebeine stemmten sich in den Boden. Mit riesiger Kraft setzten sie das Fuhrwerk in Bewegung. Aus den Nüstern von Maxl und Hansl dampfte der Atem wie aus einer Dampfmaschine. Die Ohren waren nach hinten gerichtet, um die Kommandos vom Bene zu hören. Die freigesetzte Zugkraft der Pferde war enorm. Wenn der Maxl und der Hansl einmal mit dem Fuhrwerk in Bewegung waren, konnte sie niemand mehr bremsen. Bene schlug noch mal leicht mit den Zügeln über die Pferderücken, und gut wars.
Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde staunten nicht schlecht, mit welch einer Riesenkraft die Kaltblüter das Fuhrwerk anzogen. Die Fahrt ging immer schneller. Aus einem anfänglich schweren Stampfen der gewaltigen Kaltbluthaxen wurde ein immer leichteres und schnelleres Traben der Pferde.
Die Landschaft flog nur so an ihnen vorbei, so dass es den Dreien im Inneren des Wagens schwindlig wurde. Der Bene erklärte ihnen, dass sie viel Zeit gutmachen müssten, weil er so lange auf seine „Passagiere“ hätte warten müssen. Das wäre aber nicht schlimm, denn die Rösser hätten so viel Zugkraft und Rennvermögen wie sonst keine anderen. Sie müssten sich halt beeilen, dass sie noch vor der Dämmerung in der Herberge ankämen, sonst hätten sie keinen sicheren Aufenthalt über die Nacht. Wegelagerer, Halsabschneider und Diebsgesindel würden gar zu gerne die verspäteten Fuhrwerke und Reisenden überfallen.
Den drei Mädels wurde es angst und bang bei den Gedanken, doch der Bene beruhigte sie damit, dass der Maxl und der Hansl alles niedertrampeln würden, was dem Wagen zu nahe käme.
Noch bevor die Dämmerung einsetzte, kamen sie bei der Herberge an. Das große runde Tor zum Innenhof des Anwesens war noch geöffnet. Das Tor war so hoch und breit, dass die großen Fuhrwerke gerade noch hindurchfahren konnten. Die Gäste wurden bereits erwartet. So, als ob ein Bote sie angekündigt hätte.
Es war so manches etwas sonderbar … Manchmal flirrte es in der Luft, so, als ob feine Wesen durch die Luft fliegen würden. Und leises Glockenklingeln wie von kleinen Elfenglöckchen war zu hören. Rosalinde und Friedlinde bemerkten es zuerst. Sie sahen sich um, um lichtvolle Wesen zu sehen können. Diese Herberge war wohl ein äußerer Teil der Anderswelt. So nahmen sie es wenigstens wahr. Der Girgl-Onkel sorgte also auch hier auf ihrer Reise für eine gute Unterkunft. Sie bedankten sich bei ihm mit einem Gute Nacht Gruß. Sie schliefen sicher und fest in ihrer Kammer, die sie von einer Magd zugewiesen bekommen hatten. Es standen drei Betten im Raum, allerdings viel zu weit auseinander. Die Mädels waren es gewohnt, in einem riesigen Bett nebeneinander zu schlafen. Sie schoben einfach die Betten zusammen, und schon fühlten sie sich wie zu Hause. Selig eingekuschelt in ihrer Dreiheit schliefen sie gut behütet, bis sie morgens von der Magd geweckt wurden.
Nach einer kurzen warmen Mahlzeit, Haferbrei mit viel Honig, ging es weiter mit der Reise. Der Bene und seine Rösser warteten schon auf die Passagiere. Und los ging die Reise über einige Wochen hinweg, bis sie am Chiemsee in Gstadt ankamen: Von Passau immer am Inn entlang, bis sie sich ab Burghausen in Richtung Süden orientieren mussten. Weiter ging es von Trostberg über Altenmarkt und nach Seebruck, bis sie schließlich in Gstadt am Chiemsee ankamen. (Das waren gute 140 km nach heutiger Wegstrecke berechnet)
Bene führte Rosalinde, Friedlinde und Sieglinde an den Anlegesteg, wo der Klosterfischer mit seiner Chiemseeplätte bereits auf sie wartete. Die drei Mädels waren gar nicht mehr überrascht darüber, dass ihre Reise schon wieder im Voraus so gut geplant war. Der Chiemseefischer ließ den Mädels kaum Zeit, sich von ihren letzten Reisegefährten zu verabschieden und zu bedanken. Sie wollten dem Bene noch einen Goldtaler in die Hand legen, doch der lehnte ab.
„Schnell, schnell!“, ermahnte der Fischer die Mädels, „die Äbtissin Bernadetta sagte, ich muss euch sofort hinüberbringen ins Kloster Frauenwörth.“
Die Mädchen staunten ob dieser Eile, die jetzt geboten war. Sie kannten sich überhaupt nicht mehr aus, waren verwirrt über das, was hier los war. Der Fischer ruderte wie verrückt, um so schnell wie möglich vom Steg wegzukommen. Kaum waren sie einige Meter vom Anlegesteg entfernt, als sie großen Lärm und viel Pferdegetrappel vom Ufer herüberhörten.
Das Pferdegespann vom Bene mit seinen Kaltblütern stand quer zum Steg und ließ niemanden mehr durch. Am Gstadter Chiemseeufer waren Soldaten aufgetaucht, die den Fischer am Weiterrudern hindern wollten. Sie schossen mit ihren Gewehren in Richtung der Plätte, doch die Kugeln erreichten sie nicht. Wie fortgelenkt trafen sie nur das Wasser. Bene löste, so schnell er konnte, seine Kaltblüter vom Geschirr, klatschte auf ihre Hintern, sprang gerade noch rechtzeitig auf den Rücken vom Hansl, und los ging der rasende Ritt weg vom Ufer hinein in das dichte Gestrüpp. Fortan waren sie nicht mehr gesehen.
Nebelschwaden zogen über den Chiemsee auf. Die Naturgeister umhüllten den Fischer und seine Plätte. Die Soldaten wurden ebenfalls vom dichten Nebel eingehüllt, so dass sie sich vollkommen im Nirgendwo verirrten …
Das Klosterleben der drei goldenen Federn
Der Fischer erzählte den Mädchen, dass ihn die Äbtissin Bernadetta am frühen Nachmittag losgeschickt hätte. Sobald die neuen Novizinnen in Gstadt angekommen wären, sollte er sie sofort mit der Klosterplätte auf die Fraueninsel bringen.
Nun standen die drei Mädchen auf der Fraueninsel. Sie waren angekommen nach einer langen Reise. Wie würde es jetzt weitergehen?
Ihre Gedanken verwoben sich: Lieber Onkel Georg, du großer, mächtiger Zauberer der Anderswelt! Du hast uns hierhergeführt. Jetzt stehen wir hier auf einer Insel mitten im Chiemsee, den wir nicht kennen. Wir kennen hier niemanden, außer uns selbst. Wir sind durch eine undurchsichtige Nebelwand von der anderen Welt dort draußen geschützt! Abgeschirmt. Wir hatten wundervolle Reisegefährten – Dank dafür! Hoffentlich geht es der Gertrude gut und dem Pfarrer Pröbstl! Wir konnten uns nicht mehr von ihnen verabschieden, nicht mehr Danke sagen. Die ganze Zeit dachten wir nicht einmal an sie. Erst jetzt, wo wir hier auf dieser Insel gelandet und anscheinend am Ziel unserer Reise angekommen sind. Lieber Hansgirgl, Danke für alles! Lieber Vater, Danke für alles, was du uns gelehrt hast! Liebe Gertrude und lieber Pfarrer Pröbstl, herzlichen Dank für alles!
Jetzt waren sie zufrieden, die drei Mädels vom Bairischen Wald, dort, wo sie groß geworden waren, wo ihre Heimat war. Nie mehr wieder würden sie zurückkehren können. Jetzt waren sie hier und würden wahrscheinlich als Novizinnen in das Kloster der Benediktinerinnen eintreten. So es die Äbtissin Bernadetta erlaubte.
Sie gingen langsam über die Insel in Richtung Glockenturm (Campanile, freistehender Glockenturm) des Klosters, denn dort vermuteten sie das Kloster. Der Fischer hatte sie allein gelassen. Hier auf der Insel konnte ihnen nichts mehr passieren. Verlaufen konnten sie sich auch nicht. Sie würden immer nur im Kreis herum auf der Insel wandern. Sie hatten Zeit, sich die Gegend anzusehen. Die kleinen Hütten, die Häuser der Inselfischer, und die kleinen Bauernhöfe. Die wunderschönen zauberhaften Gärten mit vielen Rosensträuchern. Auf ihrer Inselwanderung kamen sie auch an den beiden uralten Winterlinden vorbei. Die Tassilolinde war so umfangreich, dass die drei Mädels sie nicht zusammen umfassen konnten. Die Marienlinde war etwas kleiner.
An der Kirche angekommen, blieben sie einen Moment lang stehen und sahen sich an. Sollten sie wirklich hierbleiben? Auf der Insel ein ruhiges Leben verbringen? In einem Frauenkloster mit vielen anderen Frauen zusammen? Sich verstecken?, fragten sie sich, flüsterten. Ja!, war ihre Antwort. Ja! Denn hier konnten sie ihre Schreibkunst und alles, was sie vom Vater gelernt hatten, erweitern. Mehr lernen und Wissen anhäufen.
Sie betraten die Kirchenräume in dem Augenblick, als die Nonnen in die Kirche hineingingen und sich in die vorderen Bänke zu ihren stillen Gebeten begaben.
Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde taten es ihnen gleich. Sie setzten sich in die hintersten leeren Bänke und hörten in die Stille des Raumes hinein. Die Nonnen fingen dann gemeinsam zu beten an. Sie sangen ihre Choräle mit ihren wunderschönen Stimmen. Der Text, den die Schwestern sangen, gefiel den drei Mädels sofort. Ja, hier waren sie endlich angekommen!
Sie blieben so lange sitzen, bis die Gemeinschaft der Schwestern den Kirchenraum verließ. Eine Nonne ging zu den Dreien, nickte ihnen zu, und deutet an, sich ihr anzuschließen. Sie gingen in einen Nebenraum der Kirche. Die Äbtissin Bernadetta begrüßte die jungen Mädels würdevoll, ohne herablassend zu sein.
„Was ist euer Begehren, dass ihr zu uns kommt?“, war die erste Frage die sie an die jungen Frauen richtete.
Gleichzeitig antworteten diese: „Wir wollen in diese Klostergemeinschaft eintreten.“
Die Äbtissin nickte und setzte sich ihnen gegenüber in ihren „Äbtissinnenstuhl“. Sie befragte die jungen Frauen ob ihres Alters, fragte nach ihrem Beruf, ihrer Schulbildung, ihrem handwerklichen Können. Zuletzt wollte sie ihre Konfession wissen.
Die Mädels schauten sich an. Dieses Wort kannten sie nicht. Das sagten sie auch der Äbtissin ganz offen und ehrlich.
Das gefiel der Bernadetta. Das schätzte sie an einem Menschen hoch ein, wenn zugestanden wurde, etwas nicht zu kennen. Denn das war ihrer Meinung nach kein Makel, sondern eine große Besonderheit. Sie lächelte die Mädels an und fragte sie, welchen Glauben sie hätten, ob sie getauft wären, ob sie in die Kirche gingen usw. All dies verneinten die drei Anwärterinnen zum Noviziat offen und ehrlich.
Auch das gefiel der Äbtissin sehr. Sie liebte offene, ehrliche und freie Gespräche mit Menschen, die nicht hinter vorgehaltener Hand Lügen erzählten.
Die jungen Frauen wurden aufgenommen!
Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde hatten ungewollt ihre Aufnahmeprüfung durch die Äbtissin bestanden. Sie durften jetzt mitkommen und im Refektorium mit den Schwestern zu Abend essen. Anschließend zeigte ihnen die Schwester Ignazia die Schlafräume der Novizinnen. Schwester Ignazia war für die Einführung und Leitung der Novizinnen im Kloster zuständig. Die neuen Mitglieder der Klostergemeinschaft bekamen als erstes ihre Novizinnengewänder. Schwester Letitia verteilte die Nonnenkleider im Kloster – sie war demnach die Schneiderin.
Die jungen Frauen durften heute Abend noch im Klostergarten mit den anderen Novizinnen spazieren gehen und sich bekannt machen. Es war ein sehr offenes, zwischenmenschliches Verhältnis im Kloster mit den Mitschwestern. Das gefiel Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde.
Von nun an wurden sie mit Schwester angesprochen …
Zunächst begann ihre Ausbildung im Glauben. Die neuen Novizinnen hinterfragten immer wieder bei Schwester Adelgard, der Religionslehrerin, das alte und das neue Testament. Überhaupt waren Diskussionsrunden im Kloster Frauenwörth sehr willkommen. Der Äbtissin war es wichtig, dass ihre Schwestern einen freien Willen hatten und haben durften, und freie Gespräche waren immer sehr erwünscht. Förderte es doch das Zusammenleben im Kloster.
Nachdem bekannt wurde, welch große Gabe die drei jungen Frauen mitgebracht hatten, wurden sie in das Büro der Äbtissin gebeten. Bernadetta fragte sie über ihre Schreibkenntnisse aus und wollte wissen, wer ihnen diese Kunst gelehrt hatte. Die Mädchen erzählten offen und ehrlich, wie es ihre Art war, dass sie als Findelkinder beim Dorfschullehrer abgelegt worden waren, sie vom Lehrer Hannes Köhler adoptiert worden waren und er nicht nur ihr Ziehvater, sondern auch ihr sehr guter Lehrer gewesen war. Nachdem die Sieglinde etwas unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte, fragte die Äbtissin sie, was sie denn bedrücken würde. Sieglinde, die Mutigste von den dreien, erzählte nun die ganze Familiengeschichte – auch auf die Gefahr hin, des Klosters verwiesen zu werden. Jedoch lächelte die Äbtissin liebevoll, als sie von der Anderswelt hörte, und wurde dann in ihrem Stuhl ein gutes Stück größer, als sie das mit den drei goldenen Federn hörte.
Bernadetta blieb still und hörte ganz genau hin, was die drei Novizinnen erzählten. Als sie fertig waren mit ihrer Lebensbeichte, stand Bernadetta auf, ging einige Male um die Mädchen herum, und betrachtete sie mit „anderen Augen“.
„Und wo befinden sich die drei goldenen Federn jetzt?“, fragte die Äbtissin.
„Sie wurden zu Goldtalern und können nur in reiner Absicht wieder zu goldenen Federn werden. So erklärte es uns unser Onkel Georg!“, antwortete Sieglinde.
„Mögt Ihr mir die goldenen Taler zeigen?“, fragte die Äbtissin vorsichtig und schaute den Besitzerinnen der drei goldenen Federn ehrlich in ihre Augen.
Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde schauten sich an, nickten sich zu, griffen in ihre geheimen Rocktaschen, und legten die drei Goldtaler auf den Tisch.
Die Äbtissin fragte, ob sie einen der Taler in die Hand nehmen und näher anschauen dürfte. Friedlinde nickte. Bernadetta nahm vorsichtig den Goldtaler von Friedlinde in ihre Hände. Sie ging ans Fenster, damit mehr Sonnenlicht auf den Taler strahlen konnte. Bernadetta erkannte sofort die Prägung darauf. Auf der einen Seite des Goldtalers war eine goldene Feder zu sehen, und auf der Rückseite eine Frau, die mit der goldenen Feder schrieb. Die Äbtissin wusste sofort, was sie hier in Händen hielt. Sie gab Friedlinde den Goldtaler zurück. Nun bat sie auch Sieglinde und Rosalinde, ihr die Taler anschauen zu lassen.
„Habt ihr denn eure goldenen Taler mal ganz genau angeschaut?“
„N … nein, warum?“, fragten die Mädchen gleichzeitig.
„Schaut euch doch mal die Taler ganz genau im Sonnenlicht an!“
Die Mädels gingen ans Fenster und erkannten sofort, was die Äbtissin meinte.
Bernadetta setzte sich wieder auf ihren Stuhl, atmete einige Male ruhig durch, und sprach:
„Ihr drei – Friedlinde – Sieglinde – Rosalinde – seid die drei goldenen Federn, die mir prophezeit wurden. Ihr Mädchen seid zu mir geführt worden durch die alte Schule von Avalon. Ihr seid die prophezeiten goldenen Federn von Avalon! Wusstet ihr das nicht? Hat euch euer Onkel, der mächtige Zauberer Georg, nie gesagt, wer ihr in Wirklichkeit seid?“
Die Stimme der Äbtissin senkte sich ins Bedeutsame: „Merlin, der große Zauberer Merlin, der Beschützer von Avalon, ist gleichzeitig der Beschützer der Fraueninsel, dem neuen Avalon. Wusstet ihr das nicht?“
Die jungen Frauen saßen wie versteinert auf ihren Stühlen. Ihre Gedanken verbanden sich. Avalon? Davon hatte ihnen der Vater schon erzählt. Und sie hatten Bücher darüber gelesen: Über König Arthus und die Ritter der Tafelrunde. Aber … was hatten Sie damit zu tun?! Und Onkel Georg sollte der Zauberer Merlin sein?!
Immer noch schwiegen sie, doch mit einem Mal wurde ihnen vieles klar! Die sonderbaren Zauberkräfte, die sie immerzu beschützt hatten – nicht nur zu Hause, auch über die ganze beschwerliche und gefährliche Reise hinweg. Alles war wohl durchdacht und in die Wege geleitet gewesen! Und dazu der Kampf der anderen Mächte, die hatten verhindern wollen, dass sie gut auf der Fraueninsel ankamen!
Puh!, dachten die Mädchen unter einem Schauer, was für eine zauberhafte Geschichte!
Friedlinde – Sieglinde – Rosalinde konnten momentan nicht von ihren Stühlen aufstehen. Eine ganz besondere Energieschwingung umfing sie, und sie erkannten das Flirren und Schwirren um sie herum. Ihr Onkel, der große, mächtige Zauberer Merlin, erschien im Raum; im Arbeitszimmer der Äbtissin Bernadetta.
„Verzeiht mir, meine Lieben, dass ich euch nicht die ganze Wahrheit sagte, aber so konntet ihr ohne größere Ängste eure Reisen antreten. Meine lieben Gefährten, die Agnetha, der Matze und der Benedikt mit seinen Rössern Maxl und Hans, das sind alles Wesenheiten aus der Anderswelt gewesen. Ohne diese hättet ihr die Reise zum Chiemsee nie machen können. Jetzt seid ihr gut angekommen, und die Bernadetta hat euch an eurer Ausstrahlung erkannt und mich gerufen.
„Verzeiht, meine Lieben, dass ich nicht ganz ehrlich zu euch war! Es diente nur eurer Sicherheit. Nun könnt ihr hier bei Bernadetta in aller Ruhe und Geborgenheit eure volle Gabe leben.“
Merlin deutete mit dem Zeigefinger auf die goldenen Taler auf dem Tisch. Sie wurden wieder zu den drei goldenen Federn, mit denen Friedlinde, Sieglinde und Rosalinde ihre Arbeit im Kloster aufnehmen konnten, für die sie geboren worden waren und hierherreisen mussten.
Fortan waren die drei goldenen Federn die wichtigsten Nonnen in der Abtei Frauenwörth.
Während die Mönche von Herrenwörth, der Abtei auf der Herreninsel, die bedeutendsten Schriften für die Nachwelt kopierten und neue Werke erstehen ließen, in denen sie ihre kalligraphische Meisterschaft bewiesen, verfertigten die drei goldenen Federn in nicht minder schöner Schrift Bücher, in denen sie ihr umfangreiches Kräuterwissen niederschrieben, sowie feinste Heilmethoden erklärten. Und vieles mehr. In der Bibliothek des Frauenklosters forschten sie nach Überlieferungen, aus denen hervorging, wie dereinst Barmherzigkeit und Güte gelebt worden war. Diese Überlieferungen übertrugen sie auf Papier, und verfassten zudem eigene Erzählungen und fertigten Zeichnungen, in denen gelebte Liebe Menschen gegenüber, aber auch gegenüber Tieren, den wunderbaren Mitgeschöpfen auf Erden, ein kleines Licht in einer Welt aus Entbehrung und Rohheit entzündete.
Diese Schriften und erklärenden Malereien aus den goldenen Federn waren die Lichtbringer in dunklen Tagen, in denen so mancher einfache Mensch unter der Strenge einer mitleidslosen Herrschaft der Schwermut anheimfallen wollte. Unter weiser Unterstützung der Äbtissin gelangten diese Schriften den einfachen Leuten hie und da und auf bald zaubrige Weise in die Hände. Davon erfuhr, gleichsam auf zaubrige Weise, die Obrigkeit, die Schriften solcherart als nicht angemessen, ja als aufrührerisch unter dem gemeinen Volk empfand, nichts.
Bis an ihr Lebensende verließen die drei Schwestern die Fraueninsel nicht mehr. Nur hier waren sie in absoluter Sicherheit, waren sie vor aller Verfolgung geschützt. Im Alter von 88 Jahren entschlossen sich die drei goldenen Federn, diese Inkarnation zu beenden. Ihre Seelen zogen sich zurück in das Seelenreich, um dort zu einer Seelen-Einheit zu verschmelzen. Hier warteten sie darauf, ein weiteres Mal in einem menschlichen Körper zu inkarnieren, um erneut ihre Gaben leben und dadurch neue Aufgaben erfüllen zu können.
Nach dem Tod der Schwestern wurden die drei goldenen Federn durch Merlin wieder zu Goldtalern, die in einem sicheren Versteck im Kloster aufbewahrt wurden. Bis dereinst, vielleicht in hundert Jahren, vielleicht noch später, erneut drei Frauen geboren werden würden, die die Fähigkeit besitzen würden, mit diesen goldenen Federkielen zu schreiben.
Fortsetzung folgt …