Siegfried
Siegfried der Wanderer
Hier beginnt unsere Geschichte, nahe Grüntal, lieber Leser und ich höre eine helle Stimme mit belustigtem Unterton rufen …
„Siggieeee … komm … nun mach schon!“ … Siggi kaut an einem Farn und läßt auf sich warten. Er schleicht dreimal um den Baumstumpf und wälzt sich im Moos. Miri schaut zum Himmel auf am Waldrand und es zieht sich über der Landschaft was zusammen. Die Luft schwirrt schon vor Ladung und die Telefonleitungen über dem Weizenfeld bitzeln. Der Wind bläst unter Miris hellrosa Sommerkleid und bauscht es.
Siggi, ein rot getigerter Kater, beendet seine Fellpflege und trottet zu Miri rüber, schaut an ihr hoch und schnurrt, um dann mit der Tatze über sein linkes Ohr zu fahren und zu fragen: „Mirjam Charlotte, was steht heute auf dem Speiseplan?“ und man hört beide lachen.
Seit dem ersten Tag ihrer Freundschaft nennt er Miri mit beiden Vornamen.
Auf dem Heimweg hüpfen sie auf dem von Traktoren plattgefahrenen Feldweg, vorbei an gelbem Raps, Kamille und Klatschmohn. Sie steuern auf das kleine, im Tal eingebettete Dörfchen zu. Beim ersten Haus links nach dem Ortsschild, auf dem „Grüntal“ steht, biegen sie ab und der Garten empfängt sie freundlich duftend mit rosa Stockrosen, korallfarbigen Heckenrosen, hellgrünen Salatköpfen, orangenen Ringelblumen, Rosmarin, Dill, Minze, Lavendel, einem Kirschbaum und Stachelbeeren. Die Bienen trudeln langsam zu ihren Stöcken zurück und die Schwalben fliegen tief. Ein Sommergewitter liegt in der Luft und am Horizont blitzt es augenblicklich über den Kiefernwaldhügeln auf und 5 Sekunden später kracht schon ein gewaltiger Donnerschlag über den Ort.
Siggi und Miri huschen ins Haus und sehen durchs Fenster den Regen platschen. Die Bäume wackeln im Wind. Siggi bekommt eine Portion Thunfisch aus der Dose und Miri kocht sich lächelnd einen Tee.
Mirjam Charlotte Goldmann, 29, wohnt nun schon im 8. Jahr in Oma Ilses gemütlichem kleinen Haus in Grüntal. Miri benutzt einfach alles von Ilse weiter. Die Kleider passen wie angegossen und die Möbel sind komfortabel und robust. So braucht Miri nur wenig Geld zum Leben. Sie ernährt sich vom Obst und Gemüse aus ihrem Garten, tauscht mit den Nachbarn Gerätschaften und stellt sehr viel selber her. Sie besitzt etwas sehr Wertvolles: ein Leben mit frei verfügbarer Zeit. Im Winter arbeitet sie gern in der benachbarten Kleinstadt in einer Bäckerei und verdient so das bisschen Geld, was sie übers Jahr hinweg verbraucht. Miris Leidenschaft ist Klavierspielen. Ilses Häuschen, wie alles, was die geliebte Großmutter ihr hinterließ, ist solide und gut in Schuss. Nur das Klavier brachte Miri beim Einzug mit.
Die Katzen aus der Nachbarschaft gehen gern in ihrem Garten ein und aus und mögen die Klavierkonzerte. Miri hat zum Dank für die anmutigen Besucher Katzenminze zwischen die Stockrosen und Stachelbeeren gesetzt.
Eines Sommertages ist Siggi einfach da. Er streicht durch den Garten und sein rotes Fell leuchtet in der Sonne, als er sich auf der Türschwelle niederlässt.
„Na du“, grüßt Miri die Katze belustigt, „gefällt es dir hier?“ und sie streicht ihr blondes lockiges Haar hinter die Ohren. Siggi schaut innig aus seinen grünen Augen und anwortet: „Wirklich ein schöner Ort hier. Ich bin Siggi und ich könnte einen Happen vertragen.“
Hahaha, Miri ist so verdutzt, dass sie einen Knicks macht und einen Schrittt rückwärts in den kühlen Hausflur tritt und stammelt: „Mirjam Charlotte, angenehm.“ Siggi erhebt sich, streckt sich und streicht ihr dann um die Beine und schiebt sich an ihr vorbei in den Hausflur und weiter durch die offenstehende Küchentür. Miri folgt ihm neugierig und barfüßig: „Was darf es denn sein?“ Siggi springt auf den hölzernen Küchentisch und schnuppert: „Wenn noch was vom Thunfisch übrig ist, sehr gerne.“ Tatsächlich hatte es zum Frühstück Thunfisch aus der Dose und Toast gegeben. Den restlichen Thunfisch leert Miri aus der Dose auf ein Tellerchen mit Goldrand. Siggi stürzt sich darauf und Miri schaut ihm entzückt zu, bis alles aufgefressen ist.
Danach erst fällt ihr auf, dass sie miteinander sprechen, also auf deutsch miteinander reden und sie sagt zu sich selbst: „Mirjam, du bist schon immer ein wenig sonderbar … Aber?! seit wann kannst du mit einer Katze wie mit einem Menschen sprechen?!“
Im Garten krächzte eine Krähe auf dem Kirschbaum und es klang wie: „Krrrah … krrrah, sehrrr sonderrrbarrr …“
„Frag‘ lieber, seit wann ich mit Menschen sprechen kann!“, antwortete Siggi und leckte sich den Pelz. „Mmmpf … ich glaube, eigentlich schon immer. Danke für den Thunfisch, echt lecker“, nuschelte Siggi.
Miri lässt sich in das rote Plüschsofa von Oma Ilse plumpsen und es staubt ein wenig im Sonnenstrahl, der durch’s Küchenfenster grüßt. Sie ist heute schon sehr zeitig aufgestanden, da sie unbedigt am ihrem Klavierstück weiterschreiben wollte und danach noch viel im Garten zu tun war. Siggi kommt hinzu und springt mit einem Satz zu Miri auf das dazu ächzende Sofa. Er kuschelt sich an Miri und gähnt … „uuuuuuuaaaaahhhh“.
Ein Schnurren breitet sich im Raum aus, wandert zur Spüle, zum Kühlschrank, zieht Schleifen um den großen alten Holztisch, verharrt kurz am Mülleimer und saust um den Herd und die alte Kochmaschine und umkreist nun das Sofa. Mirjam folgt den Schnurrschleifen mit ihren Blicken durch die Küche. Es klingt so gemütlich, fast wie ein kleines prasselndes Feuer in einem Kamin und Miri werden die Augen schwer und sie zieht die Beine zu sich ran und gähnt ebenfalls: “ uuuuaaaaahhh“ und nickt ein.
Ein unterbrochener Traum
Im Traum erscheint ihr ihre liebe Großmutter Ilse. Sie trägt wie Rotkäppchen ein rotes Käppchen und einen Weidenkorb über dem Arm und kommt auf ihre einzige Enkelin mit tänzelnden Schritten zu. Es erklingt eine sehr liebliche Musik aus der Ferne. Nun ist Oma Ilse so nah, dass Miri ihr Maiglöckchenparfüm riechen kann und in das Körbchen schaut. Ein rotgetigertes Katzenköpfchen blickt da heraus und beginnt zu singen:
“ Miau, heißt viel … mal „ciao“, mal „genau“- singe „miau“, mal fein und mal rau, … mach das Türchen auf … und folge mir geschwind in eine Welt wo Pflanze, Mensch und Tier in Liebe miteinander sind … Meeeeeenscheeeenkiiiiind … „Miauuuuuuu“ schraubte sich der Gesang in die Höhe.
„Rrring-rrring-rrring“… das Konzert bricht ab … „rrriiiiing“… das ist das alte Telefon, das sich meldet und den Traum abrupt durchtrennt mit seinem Mark erschütterndem Klingelton.
„Ja…, hallo“ haucht Miri verschlafen in den Hörer.
„Hallo, haaaatschieeeeh“ niest es, „hier spricht Dennis Müller vom Tierheim in Isselfurth. Ihre Nachbarn haben gemeldet, dass ein ortsfremder roter Kater bei Ihnen im Garten gesehen wurde … bellt eine heisere Stimme in den Hörer … bei uns wird seit 2 Tagen ein rotgetigerter Kater vermisst … wir … „tut-tut-tut“… weiter geht das Telefonat nicht, denn Siggi tatzt fauchend nach der altmodischen Gabel des Telefons und das Gespräch erstirbt.
„Ich will da überhaupt niemals mehr hin“ bricht es aus Siggi heraus und Miri erschrickt, da ihm sein Fell zu Berge steht.
Im Tierheim in Isselfurth geht es nicht gerade zimperlich mit den Tieren zu. Die Kinder des Ortes nennen es auch den „Tierknast“. Dennis Müller, von allen Denni genannt, ist der Inhaber des Tierheimes „Fellnase“. Oft ist Denni rotgesichtig in seiner Leibesfülle und dem spannenden Karohemd über dem Bauch in der Lokalzeitung abgebildet und wirbt um Spenden, oder nimmt einen Spendenscheck entgegen. Er ist im Gemeinderat tätig und ein angesehener Bürger in der Erwachsenenwelt. Denni ist stolzer Papa von 4 Kindern und seine Frau Sybille ist seit 4 Monaten auf einer Auslandsreise … am Drehort unter Palmen. Das macht allen Müllers derzeit ganz schön zu schaffen.
Was die Öffentlichkeit jedoch nicht weiß, Müller ist seit kurzer Zeit auf Katzenhaare allergisch … „haaaaatschiiieeehhh“.
Was drei Tage zuvor in Isselfurth geschah
3 Tage zuvor geschah folgendes in Isselfurth: Müller überrascht seine jüngste Tochter Caro, die bald eingeschult wird und ein kluges empfindsames Kind ist, mit Siggi plaudernd am Katzengehege. Sie scheinen beide Caros Vater nicht zu bemerken, der hinter einer Mulde stehen bleibt und Caro wohlwollend lächelnd beobachtet. Die steckt gerade Häppchen aus ihrer Kindergartenbrotdose durch das Gitter des Katzengeheges und er belauscht, wie Siggi sich bedankt und sich dann über die tristen Lebensumstände im Heim und über seine Freiheitsberaubung beklagt.
Siggi lebte vor dieser Nacht, in der er mit einem Netz eingefangen wurde und in einen Käfig in einem schwarzen Transporter verfrachtet wurde, völlig frei in einer Laubenkolonie am Waldrand.
Caro blickt sich mit Tränen in den Augen um, ja die Tiere sind eingesperrt und der Grund hierfür leuchtet ihr nun auch nicht mehr ein und sie fasst daraufhin einen Entschluss!
Caro findet es nicht absonderlich mit Siggi zu reden, doch ihr Vater belauscht weiterhin die Beiden und traut seinen Ohren kaum. Denni Müller muss sehr an sich halten, um nicht hinzuzueilen um den Kater zu unterbrechen mit seiner Sicht, nämlich der Rettung armer verwilderter und verwirrter Katzen und der aufopferungsvollen Fürsorge im Tierheim „Fellnase“ und als er sich beruhigte und etwas von „undankbarer Kerl“ murmelte, realisiert er es … Der Kater spricht wie ein Mensch … „Was für eine Sensation, ein sprechender Kater!“ jubelt eine Stimme in Dennis Kopf: „Wenn das die Presse erfährt… und das muss sie erfahren, dafür werde ich schon sorgen und vielleicht gibt es dann auch Angebote vom Fernsehen…“ so plappert es in seinem Kopf munter weiter. Der Tierheiminhaber sieht schon seine Plakate für die Bürgermeisterwahl der Gemeinde Isselfurth. Er, als zukünftiger Bürgermeister im blauen Anzug mit gelber Krawatte, direkt und willenststark zur Kamera blickend und Siggi zu seinen Füßen mit der Sprechblase:“Sag JA zum Bürgermeister Dennis Müller!“
Jedoch kommt es glücklicherweise anders, denn Caro hat seit dem Gespräch mit Siggi großes Mitleid mit den Katzen im zu kleinem langweiligen Gehege, die abgemagert und apathisch vor sich hin vegetieren und öffnet am Abend beherzt das Türchen des Geheges, bevor sie zu Bett geht und den Schlüssel an den Haken im Flur zurückhängt.
Siggi und die anderen Katzen nutzen die Gelegenheit und verschwinden in die Freiheit, die für ein paar wenige jedoch ungewohnt ist. Sie hatten noch nie für ihr Futter selbst gesorgt und so kommen einige Katzen am Morgen freiwillig wieder zurück in das Gehege, pünktlich zum Frühstück.
Als Denni bei seinem Rundgang am Morgen mit einer Tasse Kaffee in der Hand die geschwundene Anzahl Katzen im Gehege und das offenstehende Gehegetürchen bemerkt, sucht sein Blick sogleich nach dem spechenden Kater. Er … war … weg … und … musste … unbedingt … wieder … zurück ins Heim! Koste es was es wolle.
Geheime Unterhaltungen
Miri sieht zum Fenster heraus in die Krone des Kirschbaums, in dem schon wieder die Krähe krächzt, zu der sich nun auch noch eine zweite gesellt hat. „Krrrraaahh, krrrraaahh, der Tierrrfängerrr ist bald da.“ rufen beide zu Miri rüber.
Sie hebt den aufgeregten Kater zurück aufs Sofa und beginnt ihn hinter den Ohren zu kraulen, das Fell fühlt sich so wunderbar weich an und er riecht so gut … warum denn nicht … und sie hört sich sagen: “ Siggi, du kannst gerne hier bei mir bleiben, solange du magst.“ Und Siggi mochte den Schutz, den Thunfisch und Miris offenherzige Gesellschaft gern annehmen. Einzig die Nachbarn dürfen von Siggis Sprachbegabung nichts erfahren, denn sonst ist es mit ihrer Gemütlichkeit todsicher vorbei … Neugierige Menschen aus der Stadt würden im Garten alles zertrampeln und Siggi würde bestimmt bis auf alle Ewigkeit in einem Forschungslabor verschwinden.
Und so geschieht es dann zukünftig immer mal, dass die Beiden – eben noch ins Gespräch vertieft – verstummen, wenn ein Nachbar Miris Garten betritt, um etwas auszuleihen, etwas zurückzubringen oder auf einen Plausch. Siggi miaut dann gern mal zur Tarnung, so ganz normal eben, und beide machen sich einen Spass daraus. Miri spricht dann mit gekünstelt hoher Stimme: „Na, wo ist denn mein Katerchen?“ und Siggi taucht hinter ihr auf mit hochgestelltem Schwanz und miaut treuherzig.
Die Einladung
Die Sommerabende ziehen sich lang und Mauersegler umsegeln mit ihren Rufen das kleine Häuschen. Am Waldrand erscheinen Glühwürmchen und Grillen zirpen in die beginnende dunkelblaue Nacht.
Siggi ist in Menschenzeit gemessen nun schon 3 Wochen bei Mirjam. Miris Geburtstag naht und im Briefkasten finden sich Briefe und kleine Päckchen ein. Ein Brief mit besonders schöner Briefmarke sticht hervor. Er trägt ein Siegel mit einer Krone auf der Rückseite. Aus dem Umschlag zieht Miri
eine nach Minze duftende Karte, auf der mit schnörkeliger Handschrift geschrieben steht:
„Verehrte Frau Mirjam Charlotte,
wie wir von Siegfried erfuhren, haben Sie morgen Geburtstag und wir möchten Sie gern zur Feier Ihres Ehrentages auf einen vergnüglichen Nachmittag einladen.
Mit herzlichen Grüßen, Katerkönig Robert und seine liebliche Gemahlin Mausi“
Miri zeigt Siggi die Einladung und er nickt: „Das wird toll, Mirjam Charlotte.“ Miri liest das Kärtchen wieder und wieder und inzwischen ist es Zeit zu Bett zu gehen und zuvor erklingt jedoch noch ein kleines Klavierkonzert für Piano und Katze, Siggi füllt die ihm zugedachten Einsätze in der Komposition zuverlässig mit melodischem Schnurren.
Miri ist aufgeregt, wie damals, als Kind vor ihren Geburtstagen und liegt noch lang wach. Siggi hingegen schnarcht leicht auf dem geblümten Ohrensessel am Bett und seine linke Pfote zuckt dabei ab und zu.
Am nächsten Morgen zwitschern die Amseln und die Sonne schaut lächelnd über Grüntal nach den beiden durch die Fensterscheiben. Miri erwacht und Siggi wartet schon vor der Küchentür auf sein Frühstück. Der Morgen vergeht wie im Flug, Miri arbeitet im Garten, kocht Suppe, übt Klavier, duscht und zieht ihr schönstes Kleid an. Es ist aus brombeerfarbener Seide mit türkisen Tupfen und es war auch Oma Ilses Lieblingskleid für festliche Anlässe.
Als die Dorfuhr zwei Mal am Nachmittag schlägt, erscheint vor Miris Gartentürchen auf der Dorfstrasse anhaltend, eine prächtige Kutsche mit 2 Pferden davor, ein weißes und ein schwarzes.“ Träume ich?“ geht es Mirjam durch den Kopf „und falls ich träume, dann ist es ein sehr schöner Traum.“ Der Wagenschlag öffnet sich vor den beiden. Siggi nickt und bedeutet Miri mit der Pfote zuerst einzusteigen. Das Innere der golden in der Mittagssonne leuchtenden Kutsche ist mit rubin farbenem Samt ausgekleidet.
Als die Wagentür sich automatisch schliesst, traben die zwei Pferde mit in der Sonne glänzenden Mähnen und einem Wiehern davon. In Grüntal jedoch nimmt niemand Notiz von der märchenhaften, prächtigen Kutsche. Weder scheinen die Dorfbewohner das Pferdegetrappel zu hören, noch nehmen sie die Pferde und die Kutsche, die auf der Hauptstrasse entlang fährt, wahr.
Siggi rollt sich auf einem Kissen neben Miri zusammen und seufzt ergeben. Miri schaut verzückt aus der Kutsche in die vorbeiziehende Landschaft. Alles ist wie verzaubert. An den Obstbäumen stehen wunderschöne, blass durchsichtige junge Frauen mit wallenden Haaren in langen Kleidern. Sie lächeln Miri zu. Die Bäume zeigen sich mit vielen lustigen Gesichtern in ihrem Laub. Am Himmel tanzen weitere zart durchscheinende Wesen und spielen mit gleitenden Vögeln.
Eine Möwe erscheint und landet sanft auf dem Rücken des linken Pferdes und trippelt dann auf das Abteil zu, hüpft auf das Kutschendach und schaut kopfüber durch’s offene Fenster ins Wageninnere. „Siggi, ist das die musikalische Fee, mit der Du jetzt lebst?“, dringt keck ihre Stimme zu den Reisenden ins Abteil und Siggi erhebt sich nur, um sich zur anderen Seite wieder zusammen zu rollen. „Guten Tag, liebe Fricka. Ja, das ist Mirjam Charlotte. Mirjam Charlotte, das ist meine liebe Freundin Fricka.“ Siggi schaut schnurrend zu Miri und die Möwe nickt Miri zu, und schwingt sich daraufhin wieder in die Lüfte und begleitet ein wenig kreischend die Kutsche.
Die Möwe Fricka ist Siggis treue Freundin seit vielen Jahren in Möwenzeit gerechnet. Wenn Fricka nicht gerade ihre große Verwandtschaft im ganzen Land besucht, verbringt sie gern Zeit mit Siggi.
Im Katzenkönigreich
Vor einer majestätischen Eiche hält das Gefährt an. In ihrem mächtigen Stamm ist eine Öffnung zu sehen, breit genug, dass ein ausgewachsener Mensch durchpasst. Siggi springt voran und ruft: „Komm schon Mirjam Charlotte, du wirst erwartet.“ Miri rafft ihr Kleid und steigt ebenso, mit klopfenden Herzen, durch das Loch in der Eiche.
Statt in einem Stamm, findet sie sich in einem prächtigen Saal voller glitzender Bergkristalle und funkelndem Katzengold wieder. Ein Orchester aus Mäusen und Katzen mit weißen Perrücken spielt einen Walzer und auf zwei goldenen Thronen sitzen König Robert und die entzückende Königin Mausi. Siggi tritt selbstbewußt vor beide hin und wartet bis Miri etwas atemlos neben ihm steht. Die Musik verstummt und König Robert erhebt sich aus seinem Thron und begrüßt die Ankömmlinge. „Liebe Mirjam Charlotte, zum Geburtstag die besten Wünsche aus dem Königreich der Katzen. Wir möchten uns bedanken, dass du unseren Sohn Siegfried in Freundschaft aufgenommen hast. Er zieht es vor, außerhalb unseres Königreiches in der Menschenwelt zu leben und hat bei dir einen guten Platz gefunden. Unser Geschenk an dich ist die Gabe, dich selbst in eine Katze verwandeln zu können, wenn du es möchtest.“ Miri hört ungläubig mit offenem Mund zu: „Mich selber in eine Katze verwandeln?“ spricht sie zu sich … und denkt dabei an ihre Kindertage, in denen sie mit ihren Freundinnen Katze spielte. Man musste auf Bäume klettern, Miauen, Schnurren und Mäuse jagen. Das war jedoch schon 20 Jahre her.
Miri schaut verwirrt zu König Robert, der ein etwas zerschlissenens rechtes Ohr hat und selbst rot getigert mit weißen Tatzen neben der eleganten pechschwarzen Mausi sitzt.
„Ja, liebe Miri“ schnurrt Katerkönig Robert und leckt sich auf dem Thron die linke Pfote. Königin Mausi lächelt Miri zu und spricht: „Um dich in eine Katze zu verwandeln, stell sie dir einfach vor, die Katze die du sein möchtest.“
Nach der ersten Überraschung findet Miri das Geschenk ganz wunderbar
Die Möwe Fricka erzählt nun weiter:
Liebe Leser, na sowas, sich in eine Katze verwandeln … also für mich wäre das nichts, wo ich doch fliegen kann. Ich, die Fricka, schalte mich nun hier ein, da ich gern von den weiteren Ereignissen berichten möchte und von meiner Reise ans ferne Meer, zu Gast bei meinen Cousinen, zurück bin. Ich war dabei im Königreich der Katzen, als Miri zu Ehren das Orchester spielte und ihr die Fähigkeit zur Verwandlung geschenkt wurde. Danach gab es noch Kuchen und frischen Hering. Mhm, das war soooo lecker und die Musikanten spielten noch sooo lustig auf und Mäuse- und Katzenpaare drehten sich zu himmlischen Walzerklängen. Es gab Kakao für uns alle und als die Sonne unterging, fuhren Siggi und Miri in der Kutsche zurück.
Fricka landet platschend im Feuerlöschteich von Grüntal und schlägt auf der Wasseroberfläche mit den Flügeln, bevor sie auf den kleinen Wellen, die der Sommerwind über die Wasseroberfläche bläst, schaukelt und dabei berichtet:
Was eine Woche später in Isselfurth geschah
Miri hatte sich nun schon eine Woche als Katze ausprobiert. Meist verwandelte sie sich nach dem Frühstück, der Gartenarbeit und der Hausarbeit in eine Katze, glitt erst mal zur Minze und schlief dann auf der Schwelle zum Häuschen in der Nachmittagssonne … an Mäusejagd und Katzenfutter konnte sie sich nicht gewöhnen … jedoch an Spaziergänge mit Siggi durch die Nachbarsgärten. Auch auf Mäuerchen zu balancieren und auf dem Obstbaum im Garten zu klettern, gefiel ihr sehr gut. Es bescherte ihr die Kletterei Inspiration für ihre Klavierstücke.
Die Krähen im Kirschbaum krächzten nun: „Krrrah krrrah, die Katzenmirrri ist da.“ Sie erzählten Miri im Baum Neuigkeiten aus Grüntal und Isselfurth.
Miri pflegte gern ihr Fell und wetzte hinterher ausgiebig ihre Krallen.
Siggi schien seit Tagen etwas zu beschäftigen … das Tierheim und seine dahin zurückgekehrten Katzenfreunde … wenn er daran dachte, wurden seine Augen ganz schmal und im Magen grummelte es. Da half nur eine Extraportion Thunfisch … das kannte Miri nun schon.
Siggi hoffte, dass es doch einen Weg geben müsse, der die Tierfängerei in der Region beenden würde … nur wie? Er musste dringend nach Isselfurth. Miri war von dieser Idee nicht begeistert, denn sie sorgte sich um Siggi und beschloss daraufhin, ihn zu begleiten. Die Grüntaler Turmuhr schlug 12 Mal um Mitternacht. Siggi und Mirjam Charlotte – verwandelt im schwarzen Katzenpelz und sie sah entzückend aus … ; jedenfalls machten sich die beiden auf den Weg durch die Dunkelheit nach Isselfurth.
Ich, Fricka, war dabei und flog über ihnen durch die dunkle Nacht. Das ist schon komisch für eine Möwe, denn eigentlich schlafe ich normalerweise im Schilfgras in Grüntals Löschteich um diese Zeit.
Eine halbe Stunde waren die beiden den Feldweg auf 8 Pfoten langgeschlichen, während ich über ihnen flog. Die Sterne zwinkerten über Miri und Siggi und wir erreichten die große Linde, die von den Einheimischen auch die „Schöne Linda“ genannt wird, am Ortseingang von Isselfurth. Die Schöne Linda ist sehr alt, sie hat in ihrem langen Leben schon vieles gehört und gesehen und schüttelte milde ihre Zweige zur Begrüßung. Der Duft, der von ihr ausging, war eine zauberhafte, besänftigende Kraft und uns Dreien wurde klar, dass der Plan von uns war – keinen Plan zu haben – hahaha – und mit dem Geschehen zu gleiten. Es würde sich schon ein Weg zur Freiheit der anderen Katzen zeigen … würde sich doch, oder?
Siggi führte Miri und mich zum Tierheim „Fellnase“. Dort lagen ein paar Katzen apathisch im Gehege und als sie Siggi wahrnahmen und Miri, kamen sie neugierig an den Maschendrahtzaun, der das Gehege von den Seiten sicherte und auch den Himmel über dem Gehege ausschloss. Die Sterne leuchteten durch die Rauten des Drahtzaunes. Sina, eine goldbraune Rassekatze, kam als erste elegant angetänzelt und schnurrte: „Siggi, ich danke dir für das, was du für uns getan hast … doch ich und meine Brüder und Schwestern haben keine Erfahrungen mit der Freiheit.“ Tarzan, ein schwarzer Kater mit weißem Latz kam hinzu: „Siggi, ich habe noch nie eine Maus gefangen und war zuvor noch nie, bevor ich hier her kam, außerhalb einer Zweizimmerwohnung in der Stadt mit Balkon.“ Die sanftmütige Medina, eine grau schwarz getigerte Katze fügte hinzu: „Ich war einmal aus Versehen aus meinem ehemaligen Zuhause ausgesperrt und verbrachte die eiskalte Nacht herumirrend, das war so schrecklich!!!“ Alle Katzen im Gehege hatten ihre, für sie sorgenden Menschen, verloren.
Siggi verstand seine zaudernden Artgenossen, die bisher in beheizten Wohnungen gelebt hatten und rundherum versorgt wurden, so dass sie vor lauter Gewohnheiten und Sicherheiten niemals das Bedürfnis empfanden dem Ruf des Unbekannten zu folgen. Eher waren sie voller Ängste vor der Wildnis und litten jedoch an schrecklicher Langeweile und Sinnlosigkeit. Es gab keinen Menschen mehr in ihrem Leben, den sie liebten … außer Caro.
Im Haus, durch das geöffnete Schlafzimmerfenster des Heimes „Fellnase“, hörte man den Geschäftsführer und Inhaber schrecklich niesen. Denni’s Katzenhaarallergie verschlimmerte sich von Tag zu Tag und ließ ihn kaum noch zur Ruhe kommen. Die Tabletten die er nahm, verursachten leider Schläfrigkeit tagsüber und quälende Schlaflosigkeit in der Nacht. Auch war er so geschwächt, dass er den Plan Siggi einzufangen, längst wieder verworfen hatte und seine Bürgermeisterkandidatur war ihm ebenso gleichgültig geworden.
Er war in der Zwickmühle … sollte doch nächste Woche eine Reportage über sein Tierheim gedreht werden. Jedoch in seinem Zustand mit tränenden Augen und ständigem Niesen war das unmöglich … was tun? Er konnte doch nicht alles, was er sich aufgebaut hatte, einfach so verlassen … und wohin sollte er denn auch? Diese Grübeleien wurden von einem weiteren „Haaatschieeee“ begleitet, welches zitternd aus dem Schlafzimmerfenster herausglitt.
Oma Ilse meldet sich
Miri wurde ein wenig schwummerig vor Augen und ihr erschien ihre Großmutter, das tat sie immer mal ganz gern, wenn Miri nicht mehr weiter wußte. Zum Beispiel bei dem untröstlichem Liebeskummer wegen Jo, der sich vor 2 Jahren entschied als Tischler auf Weltreise zu gehen. Oder wegen Miris Eltern, der gutmütige immer noch langhaarige Pavel und die kreative Elli, die im selben Jahr – in dem Jo seinen Rucksack packte – einen Bauernhof kauften und 800 Kilometer weit weg von Grüntal zogen.
Ilse zeigte sich gern in jugendlicher Gestalt, mit langem rötlichen Haar und Kleidern voller Blumenmuster. Sie war umgeben von einem strahlenden goldenem Licht und schwebte herbei. Seit einiger Zeit schaute sie auch einfach mal so, aufs Geratewohl, bei Ihrer Enkelin vorbei. Siggi, die anderen Katzen und ich, Fricka, konnten sie ganz deutlich sehen.
Es ward licht am Katzengehege. Dennis, aus dem eben noch ein herzzerreißender Nieser hervorbrach, sah das Licht auch und trat zum Fenster hin. Er rieb sich die Augen, denn auch er sah Ilse in jugendlicher Gestalt umgeben von rosa goldenem Licht … Ilse schwebte zu Dennis seinem Fenster herauf und dem wurde ganz warm vom liebevollem Blick Oma Ilses und sie sprach fast singend: „Caro kann Euch helfen.“ … Caaaroooohh … hallte es noch nach und Oma Ilse verschwand.
Siggi und Miri schauten zum Fenster hoch, von dem ein Räuspern und ein Schnäuzen zu hören waren, bevor es geräuschvoll geschlossen wurde. Der Morgen nahte und Denni war auf einmal todmüde.
Siggi und Miri verabschiedeten sich von den Katzen im Gehege und machten sich auf den Heimweg. Miri war wieder in Menschengestalt und hielt an der alten und üppig grünen Schönen Linda an und lehnte sich an deren Stamm und atmete tief ein.
„Mirjam Charlotte, nun komm schon, lass uns nach Hause gehen.“ rief ihr Siggi zu. Der Mond schaute interessiert hinter den Wolken hervor und beleuchtete den Feldweg nach Grüntal.
Gute Nacht erstmal, liebe Leser. Das war eine ereignisreiche Nacht für alle Beteiligten und ich, die Fricka, bin sehr froh nun meinen Kopf unter die Flügel stecken zu können.
Was tags darauf geschah
Caro sass mit ihrem Papa am Frühstückstisch und die älteren 3 Geschwister Anna, Beppo und Felix waren schon in der Schule.
Caro fragte, ob die Kinder aus dem Kindergarten mal zum Streicheln und Bürsten der Katzen kommen dürfen. Dennis hatte ein weiches Herz, wenn Caro – seine Jüngste – eine Bitte an ihn richtete und stimmte brummend zu, während er sich ein Brötchen mit Marmelade beschmierte und dann leider darauf niesen musste.
Zur Mittagszeit waren alle Kindergartenkinder im „Fellnase“ eingetroffen und die Tür des Geheges stand weit offen. Denni staunte, dass keine seiner Katzen fehlte. Die Kinder saßen friedlich im Gehege und teilten selbstverständlich ihre Brotdosen mit Tarzan, Medina, Sina und den anderen. Es war ein Bild des Friedens. Nach dem Essen wurde es Zeit für das Mittagsschläfchen … auch dieses geschah gemeinsam. Sina schnurrte an der Seite des traurigen Luis, Tarzan genoss die Streicheleinheiten von Zoe und Medina legte sich zum ruhigen Ole und so weiter … Caro war sehr zufrieden mit dem Tag und freute sich an dem Beisammensein der Tiere und der Kinder. Warum konnten sie eigentlich nicht jeden Kindergartentag miteinander verbringen, zusammen mit ihren neuen Freunden?
Was glaubt ihr, liebe Leser … ? Doch, sie konnten fast jeden Kindergartentag gemeinsam verbringen, denn es war für alle eine Bereicherung. Die Katzen liebten die Kinder und die Kinder liebten die Katzen. Sie bürsteten sie, brachten ihnen Leckerbissen, unterhielten sich mit ihnen. Die Gehegetür stand von nun an immer offen und die Kinder gingen auch gerne mit den Katzen in Isselfurth und im angrenzendem Wald spazieren. Die Schöne Linda beherbergte noch oft in ihrem Schatten, die fröhliche Gesellschaft.
Denni hatte nun richtig Lust auf das Interview und seine Allergie war auch unerklärlicher Weise verschwunden. Seine Frau Sybille überraschte ihn mit einem spontanen Besuch und „Fellnase“ wurde nun zu einem lieblichen Ort.
Das Konzert
Miri hat zum Sonntagnachmittag in Grüntal zu einem Klavierkonzert im Garten eingeladen. Ihre Nachbarn finden sich fröhlich schwatzend mit Kaffee, Kuchen und Bänken ein. Auch Denni ist mit seiner Familie gekommen. Caro und Siggi blinzeln sich verschwörerisch zu, denn auch Sina, Tarzan und Medina sind dabei und sitzen nun auf dem Kirschbaum. Die Krähen müssen auf das Dach ausweichen und man hört: „Krrrah, krrrah – ein Konzerrrt, wie wunderrrbarrr.“
Der Sommerwind trägt die Töne von Miris Spiel durch die geöffnete Doppeltür aus Glas aus dem Haus in dem Garten, weit übers Feld bis zum Wald und hinter die Hügel.
Die Dorfbewohner sahen sie wieder nicht – die Kutsche, die König Robert und Königin Mausi zum Konzert brachte – und sie sahen auch nicht die schönen, langhaarigen Wesen in der Luft, die zur Klaviermusik tanzten … zu hören war es bis nach Isselfurth, das Schnurren der Katzen aus Miris Garten. Ein melodisches, herrliches, mehrstimmiges, durchdringendes Schnurren zu den Klängen von Mirjams Klavierspiel. Auch Oma Ilse fand sich ein und erschien kurz im rosa – goldenem Abendkleid zwischen den Stockrosen.
Am nächsten Tag
Ich, Fricka, muss nun wieder los. Meine Cousine am Chiemsee hat mich eingeladen zum Erntedankfest und der Seerüßling, ja genau … schaut nach, wenn ihr den nicht kennt!, schmeckt mir von da am besten. Hinterher fliege ich dann noch direkt zu meiner Cousine nach Augsburg um zusammen am Lech zu kreischen und zu kreisen. Das macht mir mit ihr besonders Freude … Und bevor ich es vergesse, liebe Grüße von Miri und Siggi, die gerade in Isselfurth auf dem Hof „Fellnase“ zu Besuch sind … Miri mal heute als graue, langhaarige Rassekatze … Caro lacht, als die Beiden um die Ecke biegen.
„Grüntal“
Melodie: Suno.com
„Miau“
Melodie: Suno.com